Gleichberechtigung in der Kunst

Ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kunst erreicht worden? Haben Künstlerinnen heute in Deutschland die gleichen Chancen und damit den gleichen Erfolg wie ihre männlichen Kollegen? Wenn eine junge Frau heute anfängt Kunst zu studieren, macht sie das unter den gleichen Bedingungen und Aussichten wie ein junger Mann? Heute, 2023 im fortschrittlichen deutschsprachigen Raum (also in Deutschland, Österreich und der Schweiz)?

Meine These ist, dass das nicht der Fall ist. Ich werde das in drei Punkten begründen und anschließend diskutieren, was nötig wäre, um die Stellung von Künstlerinnen zu verbessern.

  1. Repräsentanz von Frauen in der Kunst

Es sind mehr Frauen als Männer, die Kunst studieren und damit Künstlerinnen werden möchten. Auch auf dem Gebiet der Theorie, also beim Fach Kunstgeschichte, sind es deutlich mehr Frauen als Männer, die sich für dieses Hochschulstudium entscheiden. Beides sind keine neuen Trends, sondern schon seit Jahrzehnten bekannte und belegbare Fakten.

Etwa zwei Drittel derjenigen, die den akademischen Weg in die Kunst oder in die Kunstwissenschaft wählen, sind Frauen. Das ist ein Erfahrungswert, der international vergleichbar ist. Und das beschränkt sich nicht nur auf die Studierenden, sondern betrifft inzwischen auch die Berufswelt. Sei es im Museum, in Galerien, im journalistischen Diskurs oder in der Künstlerschaft: Überall sind Frauen deutlich in der Überzahl.

Inzwischen hat das auch Widerhall in einigen höheren Positionen gefunden. So gibt es weltbekannte Künstlerinnen, Professorinnen an Kunsthochschulen und auch Direktorinnen an einigen der größten Museen. Niemand kann leugnen, dass die Gleichberechtigung in Kunst und Kunstwissenschaft große Fortschritte gemacht hat. Doch wenn man genau hinsieht, dann ist es dennoch so, dass in der Spitze der Anteil von Frauen noch immer merklich hinter dem der Männer zurückliegt. Zahlreiche Erhebungen und Auflistungen belegen das.

  1. Gender-Pay-Gap im Kunstbetrieb

Am leichtesten ablesbar sind die Zahlen der Künstlersozialkasse, die belegen, dass Künstlerinnen im Durchschnitt gut ein Viertel weniger verdienen als Künstler. Das setzt sich fort in Auktionsergebnissen und Galerierepräsentanz, bei Ankäufen von Museen und der weiblichen Repräsentanz bei Kunstmessen. Überall lässt sich ablesen, dass männliche Künstler deutlich überrepräsentiert sind.

Trotz aller Fortschritte: Frauen verdienen in der Kunst noch immer weniger, werden weniger ausgestellt, sind in Museen unterrepräsentiert und ihre Werke werden von öffentlichen Stellen weniger gekauft, obwohl es deutlich mehr Künstlerinnen gibt. Eine Lücke, die zwar von Jahr zu Jahr kleiner wird, aber ohne dass absehbar wäre, dass sie verschwindet.

  1. Galerien setzen im Zweifel eher auf Männer

Galerien sind Karriere-Beschleuniger im Kunstbetrieb. Einerseits geben sie dem Künstler einen imaginären Qualitätsnachweis, andererseits fördern sie die Karriere ihrer Schützlinge aktiv. Das geschieht durch frühe eigene Ankäufe, durch Platzierung in Ausstellungen, Beratung der Künstler und durch die Sicherheit, die sie in einem frühen Karrierestadium geben.

Doch gerade Galerien setzen in einem hohen Maß auf die männlichen Künstler, dabei spielt es nur graduell eine Rolle, ob die Galerie von einem Mann oder einer Frau geführt wird.

Aussichten für Künstlerinnen

Trotz allem bewegt sich etwas! Langsam, aber doch in die richtige Richtung! Es sind vor allem zwei Punkte, die einer Gleichberechtigung noch immer im Weg stehen, und beide betreffen im großen Maß die Galerien. Zwar sind Galerien, wie bereits erwähnt, gerade am Anfang der Karriere wichtige „Booster“, doch sie müssen ihre Klienten auch danach wählen, wie sie mit ihnen Geld verdienen werden.

An den entscheidenden Stellen, wo über Kunstkauf entschieden wird, sitzen oft Männer. Es ist eine aus vielen Bereichen bekannte Tatsache, dass Entscheider häufig ihresgleichen fördern. Sammler und Mäzene sind überproportional häufig Männer, gleiches gilt noch immer auch für Direktoren von Museen.

Und immer, wenn es um Gleichberechtigung geht, geht es auch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für eine Galerie, die zu Beginn in eine Künstlerkarriere viel Geld investiert, ist es wichtig, dass die Karriere nicht der Familie geopfert wird. Sicherlich haben auch viele Galeristen die Sorge, dass Künstlerinnen nicht mehr mit dem gleichen Elan der Kunst den Vorzug geben. Egal, ob diese Sorge berechtigt ist, oder nicht.

Aktiv ansetzen kann man vermutlich nur bei staatlichen Stellen. Es geht um die Sichtbarkeit von weiblicher Kunst im öffentlichen Raum und um die Ankäufe von Museen und staatlichen Sammlungen. Wenn Künstlerinnen gute Investments sind, dann werden sie auch für Galerien interessanter und finden einen leichteren Zugang zum Kunstmarkt. Keinen leichteren Zugang als ihre männlichen Kollegen, aber einen leichteren als bisher!

Text: Mathias Fritzsche
Erstveröffentlichung in kunst:art 91

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