Der Seele auf den Grund

6.9.2019 – 19.1.2020 | Draiflessen Collection

Heute erscheint uns der Gedanke fast absurd, dass die reine Landschaftsdarstellung in der Kunst mit der Genremalerei zu den jüngsten eigenständigen Gattungen gehört. Schließlich zählt die Landschaft wahrscheinlich zum Ersten, was den meisten beim Stichwort der Bildkünste in den Sinn gerät.

Doch musste sie sich einst erst aus ihrer Rolle als Staffage für mythologische Themen heraus emanzipieren. Dies geschah für Europas Kunst mit einem Schwerpunkt im Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei und auch unter Beteiligung einer der herausragendsten Figuren der Kunstgeschichte, Rembrandt van Rijn, dessen Todestag sich 2019 zum 350. Mal jährt. In Mettingen ist der Jubilar nun zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres Teil einer Kabinettsausstellung. Dieses Mal geht es um seine weniger bekannten Landschaftsradierungen. Rembrandt nahm sich in den späteren Schaffensphasen seine wasserreiche Umgebung rund um Amsterdam zum Motiv. Ähnlich wie auch bei seiner Arbeit als Historienmaler war jedoch auch hierbei nicht eine exakte Abbildung der leitende Gedanke, sondern vielmehr der Versuch einer idealisierten Stimmungswiedergabe.

Der eigentliche Hauptdarsteller der jetzigen Schau ist jedoch nicht Rembrandt, sondern ein aktueller Zeitgenosse: Jan van der Kooi, 1957 in Groningen geboren, ist wohlgemerkt in mehrerlei Aspekten seiner Arbeit mit seinem dreieinhalb Jahrhunderte älteren Landsmann, mit dem er nun in einen künstlerischen Dialog gebracht wird, auf einer Linie. Als Maler genauso wie als Zeichner lässt er sich von seiner Faszination für verschiedene Lichtverhältnisse und deren Wirkung leiten. Wie flächendeckend er sich dabei inspirieren und seine Umgebung auf sich wirken lässt, belegen die über 150 Skizzenbücher, die nun auszugsweise zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Bei den hier gezeigten Zeichnungen bricht er die Landschaft auf ihre innersten Qualitäten herunter. Die Tiefe dieser Arbeiten ist gerade angesichts dieser Reduktion auf diffuse Striche und sich überlagernde Schattierungen bemerkenswert. Zwar betont er, dass Rembrandt für ihn ausdrücklich kein Vorbild, sondern vielmehr Seelenverwandter sei, und doch lässt sich eine klare historische Linie über die Jahrhunderte ziehen. Ganz konkret liegt dies nicht zuletzt an dem dezidierten Interesse Van der Koois an materiellen und technischen Grundlagen. Vom Rötelstein über Tusche bis zu altem Papier greift er immer wieder auf Historisches zurück. Am Allerwichtigsten jedoch ist eine andere Überschneidung in der Angelegenheit, um die es hier eigentlich geht: Die weite niederländische Landschaft mit den sanften Unterbrechungen durch menschliche Siedlung stellt sich bei beiden gleichermaßen als besonders ruhige und urtümliche Naturerfahrung dar. Im Motiv verschwimmen so die Unterschiede zwischen beiden derart, dass man nur zu gerne wissen möchte, wo genau denn diese Stellen sind, an denen man in diesem Jahrtausend noch auf solch unverstümmelte Landschaft blicken darf.

 

Vom Wesen der Landschaft
6.9.2019 – 19.1.2020
Draiflessen Collection
Georgstr. 18
D-49497 Mettingen
Tel.: +49-5452-91680
Mi – So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 9 €, erm. 6 €
www.draiflessen.com

Text: Julius Tambornio
Bild: Draiflessen Collection
Erstveröffentlichung in kunst:art 69