Als sie gingen
Die Gegenwart ist eine Vermischung von vielen Faktoren, ihr zugrunde liegt eine Erinnerung, der wir nicht unbedingt trauen können. Oder wie war das noch mal, damals vor der Wende? Den ständigen Blickwechsel zwischen Fiktion, Vorstellungswelten und faktischem Wissen wagt der Künstler Sven Johne, der den Osten zum Thema vieler seiner Arbeiten macht. Das Kunstmuseum Magdeburg zeigt mit „Das sowjetische Hauptquartier“ die 2023 entstandene Filmarbeit des 1976 in Bergen auf Rügen geborenen Johne. Der Künstler befragt in seinen Werken stets das Verhältnis zwischen dem, was war, und dem, was wir erinnern. Er selbst wurde in der DDR sozialisiert und erlebte die Wende in seiner Jugend.
In seinem Film „Das sowjetische Hauptquartier“ macht Johne eine versunkene Stadt zum Hauptschauplatz seiner Auseinandersetzung mit historischen Fakten und Erinnerung. Von Januar 1991 bis August 1994 zog die “Westgruppe der Truppen”, so die Bezeichnung der russischen Streitkräfte in der DDR, ab. Von den insgesamt 340.000 Soldaten lebten 50.000 Rotarmisten abgeschottet im Hauptquartier in Wünsdorf, das sich gegen die Außenwelt abschottete, die jedoch für die Bewohner alle Möglichkeiten einer echten Stadt bot: Vom Theater über Einkaufsmöglichkeiten bis hin zur sowjetischen Schule und einem Krankenhaus. Der einst größte Militärstandort Europas ist nun Schauplatz einer fiktionalen Szene, eines Gesprächs zwischen einem Immobilienmakler (Marc Zwinz) und einer Kaufinteressentin (Luise Helm), die als Achtjährige den Abzug der russischen Truppen erlebte. Ein kindliches Wunderland, das in einem inneren Monolog der Figur in Erscheinung tritt, gerät hier in einen Gegensatz zur kapitalistischen Gegenwart – ein Ausflug in eine fiktive Zwischenwelt, welche die Vorstellung von der Vergangenheit noch immer beeinflusst.
Sven Johne. Das sowjetische Hauptquartier
8.3. – 26.5.2024
Kunstmuseum Magdeburg
Regierungsstr. 4-6
D-39104 Magdeburg
Tel.: +49-170-4469295
Di – Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.kunstmuseum-magdeburg.de
Text: Karolina Wróbel
Bild: Kunstmuseum Magdeburg
Erstveröffentlichung in kunst:art 96