Kunst habe die Aufgabe, einem Mangel entgegenzuwirken, etwas Fehlendes zu ersetzen, so meinen einige Philosophen. Unter diesem Gesichtspunkt überrascht die Ausstellung „New Order“ im Würzburger Kulturspeicher in diesem Herbst nicht, obwohl Kunst lange den Ruf des Anarchischen und Rebellischen, der Künstler den eines unangepassten Nonkonformisten hatte. Die Regelhaftigkeit des Barock und der Akademiemalerei schien in tiefer Vergangenheit zu liegen. Das Informelle und abstrakt Expressionistische allerdings hat seinerseits das Rentenalter längst erreicht. Die Welt um die Kunst herum dagegen hat im Vergleich zu den 50er-Jahren, jedenfalls im sogenannten westlichen, europäischen und nordamerikanischen Raum, zahlreiche Regeln über Bord geworfen. Vielfach macht das Angst, denn mit der hergebrachten Ordnung geht auch bisher erlebte oder gefühlte Sicherheit verloren – dies ist die andere Seite von Deregulierung, die wirtschaftsliberalen Kräften als Weg zum Erfolg gilt. Dass solche Liberale ebenso wie Anarchisten die Abschaffung von Regeln befürworten, ist mehr als nur ein Imageproblem für beide. Es ist ein weiterer Ausdruck für den Verlust von Gewissheiten, der mit der Auflösung hergebrachter Regeln einhergeht. Der Begriff der Ordnung selbst scheint nicht mehr klar geregelt. Wie facettenreich diese Situation in der Kunst diskutiert wird, veranschaulicht „New Order“ im Würzburger Kulturspeicher. Zahlreiche Positionen aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen behaupten vielfältige, untereinander oft kontroverse Standpunkte.
Für Sol LeWitt war logische Systematisierung eine Grundlage seiner Kunst überhaupt. Seine Werke sind Strukturen und bedürfen wenig anderes. Auch für Hanne Darboven ist eine klare Ordnung von grundlegender Bedeutung. In neurotisch anmutender Fleißarbeit sortiert sie Linien und Formen zu tabellenhaften Systemen, die in ihrer Größe wiederum selbst kaum überschaubar scheinen.
Harun Farocki steht für einen anderen Blick auf das Thema Ordnung. Mehrfach wies er auf die Rolle des Zufalls für das Gelingen seiner filmischen Arbeiten hin. Die Neue Weltordnung, die im Titel der Ausstellung schon so unheilvoll anklingt, war für ihn eine Dystopie. Die Einfügung des Einzelnen in eine übergeordnete, beherrschende Ordnung lässt ihn befürchten, das Individuum könne auf diese Weise ausgelöscht werden.
Für Alicja Kwade wiederum sind Regeln und Ordnung Bedingungen, unter denen eine Realität erst gedacht und gestaltet werden kann. Ordnung ist hier nicht einzuschnürend, sondern scheint erforderlich, um eine individuelle Wirklichkeit zu entfalten.
Im Kulturspeicher stellen sich noch zahlreiche weitere Positionen der Diskussion. Das Thema scheint dennoch lange nicht erschöpfend behandelt werden zu können. Für Luisa Heese ist „New Order“ daher auch nicht nur die erste Ausstellung, die das Museum unter ihrer Leitung umsetzt. Sie darf als eine Richtungsanzeige für das Haus gelten, dessen Direktorin sie seit September vergangenen Jahres ist. Ein ambivalenter Titel wie die „New Order“ verspricht Spannung für ihre Amtszeit.
Jan Bykowski ist Journalist für Kunst und ihre Märkte in Berlin.
New Order. Über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten
18.9.2021 – 9.1.2022
Museum im Kulturspeicher
Oskar-Laredo-Platz 1
D-97080 Würzburg
Tel.: +49-931-322250
Di 13 – 18 Uhr, Mi – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 19 Uhr
Eintritt: 5,50 €, erm. 3,50 €
www.kulturspeicher.de
Text: Jan Bykowski
Bild: Museum im Kulturspeicher
Erstveröffentlichung in kunst:art 81