Kann eine Metropole zur Provinz werden?

Ein Kommentar von Mathias Fritzsche in kunst:art 46

Kommentar

Berlin ist eine wahre Metropole, die auch die Kunst zu schätzen weiß. Und sie zeigt es durch traumhafte Ausstellungen, eine nicht überschaubare Masse an Kunstgalerien und mit vielen, vielen Künstlern. Diese Künstler – oft werden sie vergessen – sind die Triebfeder des Erfolgs der jungen Metropole – nicht nur in kultureller Hinsicht! -, die noch vor kurzem eine geteilte und abgeschottete Stadt war. Nun ist es eine pulsierende Stadt, in der man Englisch, Türkisch, Französisch, Ungarisch, Chinesisch und viele weitere Sprachen von dort lebenden Menschen hört.

Das ist die positive Seite, doch es machen sich auch Tendenzen bemerkbar, die bei den Verantwortlichen der Stadt Alarmglocken auslösen sollten. So zum Beispiel die Berliner Museumsdirektorin eines mittleren Hauses, die allen Ernstes ihr Haus in der ersten Liga der Museen verortet, also auf einer Stufe mit der Hamburger Kunsthalle, der Münchner Pinakothek, dem Düsseldorfer K20/21, dem Museum Ludwig in Köln, und, und, und … Oder der Kurator, der ganz erstaunt war, dass man eine rein Berliner Kunstzeitschrift im Rest des Landes nicht kennt. Oder die ungläubige Frage eines Berliners im Kunstbetrieb, ob es denn in Leipzig überhaupt Kunstsammler gebe? Oder der Galerist der Galerie Dietrich-Schlechtriehm, der allen Ernstes behauptete (und nach fassungsloser Rückfrage noch einmal bekräftigte), dass die Berliner abc die mit Abstand wichtigste deutsche Kunstmesse sei …

So fantastisch die Berliner Kunstszene ist, wenn man zu sehr auf sich selbst bezogen ist, so besteht leicht die Gefahr, dass man provinziell wird, provinziell im dem Sinne, dass man nicht mehr über den Tellerrand schaut und nur noch im eigenen Saft schmort. Und das kann schneller gehen, als man denkt … Zuerst steigen die Mieten (das tun sie bereits). Damit werden letzten Endes viele Künstler vertrieben, denen eine günstige Wohnung und ein bezahlbares Atelier sehr wichtig sind (auch das ist bereits im Gange). Wenn die Künstler weniger sein werden, dann bleiben als nächstes die internationalen Künstler weg und dann ist damit auch die internationale Anziehungskraft insgesamt dahin: Amerikaner, Franzosen, Russen und andere bleiben aus, das internationale Flair ist weg und gegenüber Paris und London hat Berlin dann ganz schnell das Nachsehen. Und eine solche Entwicklung würde der Kulturlandschaft in ganz Deutschland nachhaltig schaden!

Selbstverständlich: Die Eingangs erwähnten Beispiele sind Einzelfälle. Allerdings sich häufende Einzelfälle. Und vor allem Symptome einer Entwicklung, die einem von Berliner Künstlern exakt so auch bestätigt wird. Viele Künstler aus Berlin weichen schon nach Brandenburg aus …

So, wie beschrieben, muss es nicht kommen und so kommt es bestimmt nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre. Aber so kann es langfristig kommen. Wenn man sich weiterhin für den Nabel der Welt hält und den Rest des Landes zu wenig beachtet.

Mathias Fritzsche ist Kunsthistoriker und beschäftigt sich insbesondere mit zeitgenössischer Kunst.

Über Mathias Fritzsche 117 Artikel
Ein Thema jagt das nächste: Der Wochengipfel hält ein oder zwei Themen fest und bringt sie in Erinnerung. Was war vergangene Woche so wichtig, dass man Schnappatmung bekam und ist diese Woche dennoch schon vergessen? Oder über welche Nachricht hat man sich so gefreut, dass man auf den Balkon ging und die Nachricht für die ganze Welt in den Abendhimmel geschrien hat?

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