Franz Marc – Zwischen Utopie und Apokalypse Kämpfende Formen

18.9.16 – 15.1.17 | Franz Marc Museum

Das Gemälde „Kämpfende Formen“ entstand in Ried bei Kochel, in der im April 1914 bezogenen Villa von Franz und Maria Marc. Der Maler verbrachte hier nur vier Monate bevor er zum Ersten Weltkrieg eingezogen wurde. Heute befindet sich das Werk im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, die es 1949 von Maria Marc erwarben. Anlässlich des 100. Todestages von Franz Marc wird das Werk 2016 im Franz Marc Museum gezeigt, womit das Werk für kurze Zeit an seinen Entstehungsort zurückkehrt.

„Kämpfende Formen“ gehört zu den meistdiskutierten Werken des Malers. Von Maria Marc als „unvollendet“ bezeichnet, ist das Gemälde dennoch signiert und lässt eine abgeschlossene Komposition erkennen, die durch eine rote und eine blau-schwarze Form beherrscht wird. Die beiden Formen füllen fast die gesamte Bildfläche und streben in einer dynamischen Wellenbewegung aufeinander zu, wobei die dunkle Form zurückzuweichen scheint. Handelt es sich um die abstrakte Darstellung des bevorstehenden europäischen Krieges? Der Titel, den Franz Marc dem Werk retrospektiv in einem Brief an seine Frau verlieh, suggeriert als Thema des Gemäldes einen Kampf oder Konflikt, so dass nachvollziehbar wird, dass ein Interpret die rote Form mit dem „deutschen Adler“ identifizierte, der in der Auseinandersetzung mit der blauen Form die Oberhand gewinnt.

Die Interpretationsansätze zu diesem Werk sind geprägt von der Frage nach der symbolischen Bedeutung der beiden dominanten Farbformen, Rot und Blauschwarz, sowie von der Überlegung, ob diesen zunächst abstrakt erscheinenden, kreisenden Formen, die auf dem Bild gegeneinanderprallen, ein konkreter Inhalt zugeordnet werden kann. Geht man von den Überlegungen Marcs zur Farbensymbolik in seinem Brief an August Macke vom 12.12.1910 aus, so führt dies zu Widersprüchen. Auf dem Gemälde gewinnt die rote Form die Oberhand. Sie steht in Marcs damals spielerisch entwickelter Symbolik für die „Materie, brutal und schwer“ während die zurückweichende, unterlegene Form auf dem Gemälde „Kämpfende Formen“ blau ist und damit das „männliche Prinzip, herb und geistig“ repräsentieren müsste. Es ist kaum vorstellbar, dass Marc den Sieg der Materie über den Geist darstellen wollte. Da Marc die eigene Theorie nicht konsequent umgesetzt hat, ist der Bezug auf sein Gedankenspiel zur symbolischen Bedeutung der Farben auch nicht zwingend. Möglich wäre aber, dass, was er auf dem Gemälde „Kämpfende Formen“ darstellen wollte, nicht zu benennen ist, oder das der konkrete Inhalt hinter der Dynamik der Formen zurücktritt. So wurden die „Kämpfenden Formen“ nicht nur abstrakt gesehen, sondern wiederholt symbolisch gedeutet, als Kampf zweier gegensätzlicher Kräfte, die als Gut und Böse oder als Materiell und Spirituell interpretiert wurden. Diese Sichtweise wird gestützt durch das Nebeneinander gegenständlicher und ungegenständlicher Elemente, das nicht nur bei Franz Marc zu beobachten ist, sondern auch die tendenziell abstrakten Werke der anderen Maler aus dem Kreis des „Blauen Reiters“ prägt.

Allerdings glaubte Marc nicht an eine Malerei ohne Gegenstand. An Robert Delaunay schreibt er am 25.1.1913: „Sie konstruieren die Idee einer reinen Malerei ohne Gegenstand; ich behaupte, dass es so eine Malerei nicht gibt, und zwar aus folgendem Grund: Machen Sie einen Winkel, das sind zwei geknickte Linien, die Beugung eines Beines alles was Sie wollen aber immer eine Sache, ein Ding. Es ist gut möglich, dass jeder Betrachter hier eine andere Sache sieht, eine andere Idee, aber ´irgendetwas´ wird er hier immer sehen.“ Das Werk ist nie ohne Bedeutung, aber über diese Bedeutung darf jeder Betrachter sich seine eigenen Gedanken machen. Auf den letzten Bildern Marcs helfen ihm dabei gegenständliche ‘Erinnerungen’ – Fragmente von Tieren, Pflanzen, Häusern. Sie werden eng mit einer abstrakten Struktur verwoben und in eine kontinuierliche Bewegung hineingezogen, die die Kompositionen bestimmt. Diese Dynamik, die in der Staffelung der Formen, ihrer organischen Entfaltung, ihrer kristallinen Aufspaltung, ihrem Spannungsverhältnis und ihrem Dialog über die Farben zum Ausdruck kommt, ist das zentrale Thema der letzten Bilder Marcs. Mit den abstrakten Kompositionen, die sein Oeuvre abschließen, hätte er dann die „Animalisierung“ der Kunst, das „Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge“, die er in seinem Text zum Tierbild 1910 als sein Ziel formuliert, erreicht, „mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten.“

Im Rückblick sah der Maler auch das Gemälde „Kämpfende Formen“ im Zusammenhang mit dem Übergang seines Werks in die reine Spiritualität, die er stets angestrebt hatte: „Ich denke viel über meine eigene Kunst nach. Der Instinkt hat mich im großen und ganzen auch bisher nicht schlecht geleitet, wenn die Werke auch unrein waren; vor allem der Instinkt, der mich von dem Lebensgefühl für den Menschen zu dem Gefühl für das animalische, den `reinen Tieren`, wegleitete. Der unfromme Mensch, der mich umgab (vor allem der männliche) erregte meine wahren Gefühle nicht, während das unberührte Lebensgefühl des Tieres alles Gute in mir erklingen ließ. Und vom Tier weg leitete mich ein Instinkt zum Abstrakten, das mich noch mehr erregte; zum zweiten Gesicht, das ganz indisch-unzeitlich ist und in dem das Lebensgefühl ganz rein klingt. Ich empfand schon sehr früh den Menschen als `häßlich`; das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlswidriges und Häßliches, so daß meine Darstellungen instinktiv, (aus einem inneren Zwang) immer schematischer, abstrakter wurden. Bäume, Blumen, Erde, alles zeigte mir mit jedem Jahr mehr häßliche, gefühlswidrige Seiten, bis mir erst jetzt plötzlich die Häßlichkeit der Natur, ihre Unreinheit voll zum Bewußtsein kam.“, schrieb er im April 1915 an Maria Marc.

Diese Briefstelle lässt sich als eine Art künstlerisches Vermächtnis Franz Marcs lesen, als eine komprimierte Darstellung seiner Ziele und Ideen, als ein Text, der Schlüsselbegriffe seiner Kunsttheorie enthält. Für das Verständnis des Textes ist von Bedeutung, dass Franz Marc seinen Brief in der Rückschau und darüber hinaus in einer Situation formulierte, in der er nicht künstlerisch arbeiten konnte und die zugleich von intensiver Reflexion nicht nur über künstlerische, sondern auch über grundsätzliche Lebens- und Schicksalsfragen geprägt war.

Damals entstand das „Skizzenbuch aus dem Felde, das in einer qualitätvollen Faksimileausgabe in der Ausstellung zu sehen ist. Mit diesen Zeichnungen verbindet sich die Frage, ob Franz Marc hier die „konstruktiven Bilder“ entworfen hat, die er als Beitrag zum Aufbau eines neuen Europas nach dem Krieg plante. Seine Künstlerfreunde , die den Krieg überlebten, Kirchner, Heckel, Beckmann Grosz oder Dix, reagierten desillusioniert – in einem überspannten oder symbolisch aufgeladenen Realismus – in ihren Werken nach dem Krieg. Dagegen zeigt ein Exkurs in die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg, dass damals Abstraktion und Aufbruchsstimmung herrschten. In diesem Sinn ist Franz Marcs Gemälde „Kämpfende Formen“ in der Ausstellung Anlass für eine Reflexion über Krieg und Kunst, sowie über Abstraktion und Konstruktion.

 

Text: Franz Marc Museum | Foto: Franz Marc Museum
Externer Link: Franz Marc Museum

 

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