von Sabine Scheltwort //
Das wohl berühmteste Beispiel für eine synästhetische Erfahrung ist Marcel Prousts Szene im Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, in der er seinen Helden ein Madeleine-Gebäck in Lindenblütentee tauchen lässt. Der Geschmack ruft die Erinnerung an seine Kindheit wach, vor seinem inneren Auge sieht er Häuser und Gärten von Combray. Der französische Schriftsteller beschreibt zu Beginn des 20. Jahrhunderts genau, wie dieser Zugang zum „unermesslichen Gebäude der Erinnerung“ funktioniert. Interessanterweise ist es nicht etwa der Anblick der Madeleine, der die inneren Bilder und Gefühle wieder lebendig macht, obwohl der Sehsinn als der dominierende gilt, sondern es ist der Moment, in dem der Erzähler das teegetränkte Gebäck schmeckt.
Geruch und Geschmack spielen beim Speichern von Erinnerungen eine wichtige Rolle – sie helfen, Erlebtes detailliert und lebendig wieder abzurufen. Inzwischen hat auch die Wissenschaft erforscht, was Marcel Proust durch genaue Beobachtung bereits wusste. Unternehmen machen sich dieses Phänomen im Marketing zunutze, etwa indem sie bestimmte Gerüche verwenden, um unsere Kauflust anzuregen. So wurde der Duft Trust inspiriert vom Hormon Oxytocin, das unser Verhalten beeinflusst.
Die Künstlerin Helga Griffiths geht in ihren Installationen dem Wechselspiel zwischen den Sinnen auf den Grund, wie in ihrer Ausstellung „Crossing“ in Saarbrücken zu erleben ist. In ihrer Arbeit „Dark Gravity“ bezieht sie sich darauf, dass nur ein winziger Teil des Universums überhaupt für uns sichtbar und nicht schwarze Materie ist. Dass der Planet 9 etwa existiert, ist nur wegen der Kräfte bekannt, die er auf andere Planeten ausübt. Solchen unsichtbaren Einfluss macht Griffiths erfahrbar, indem sie einen schwarzen Raum mit einer unmerklichen Neigung baut, der den Betrachter dazu verleitet, sich immer weiter ins Innere zu begeben. Durch das ovale Fenster an einer Seite kann wie durch ein Raumschifffenster die Gehirnlandschaft beobachtet werden, die Griffiths mittels Computertomografie von ihrem Gehirn aufzeichnen ließ. Darüber hinaus verwendet sie den Duft „Trust“, durch den sich die Besucher einem unsichtbaren Einfluss unterworfen fühlen. „Der Betrachter ist eingeladen, seine eigenen Reaktionen zu überprüfen. Vertraute und nicht vertraute Sinne werden angesprochen, das Riechen, Hören, Sehen und der Sinn für die Schwerkraft bzw. das Gleichgewicht“, sagt die Künstlerin.
In „Turbulent Souvenirs“ arbeitet sie noch stärker mit dem olfaktorischen Sinn. Die Arbeit besteht aus Tausenden von Duftstreifen, die das klassische Parfum „L’Heure bleue“ absondern. Es wurde von Jacques Guerlain entwickelt, als er zur „blauen Stunde“ zwischen Tag und Nacht durch Paris flanierte. Den Besucher zieht es immer weiter ins Innere der Installation, um einzutauchen ins blaue Licht, umsäuselt von Stimmen, die in unterschiedlichen Sprachen von ihren Erinnerungen an Gerüche erzählen – eine Erfahrung, die sich tief ins Gedächtnis einprägt.
Text aus der kunst:art 57
HelHelga Griffiths – Crossing
22.9.2017 – 14.1.12018, Stadtgalerie Saarbrücken
St. Johanner Markt 24, D-66111 Saarbrücken
Tel.: +49-681-9051842
Di – Fr 12 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt frei
www.stadtgalerie.de
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