Eine bessere Moderne?

17.11.2020 – Verlängert! | Von der Heydt-Museum

Es war einer der Ausgangspunkte der industriellen Revolution: Das „Wupper-Tal“, wo 1820 Friedrich Engels (1820–1895) geboren wurde, war zu jener Zeit ein wichtiges Zentrum der Textilindustrie. Von Regionen wie dieser ging im 19. Jahrhundert eine internationale Dynamik aus, die ein neues Wirtschaftssystem, den Kapitalismus, hervorbrachte; spektakulärer technischer Fortschritt und neue kulturelle Impulse gingen jedoch rasch Hand in Hand mit massiven sozialen Konflikten. „Die Vision einer besseren Moderne kann erst entstehen, wenn die Schrecken der kapitalistischen Gesellschaft erkannt werden“, konstatierte Engels, der gemeinsam mit Karl Marx die Strukturen des Kapitalismus kritisch analysierte.

Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels blickt nun das Von der Heydt-Museum in Wuppertal mit der Ausstellung „Vision und Schrecken der Moderne“ auf jene Epoche des wirtschaftlichen Umbruchs, der zugleich einen Umbruch in der künstlerischen Bildsprache bedeutete. Die Schau untersucht dabei diachron Reflexionen von Malerei über Grafik bis Skulptur und Fotografie; Positionen aus dem 19. Jahrhundert begegnen jenen aus dem 20. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischen Rückbezügen auf diese prägenden Jahrzehnte.

Während das steigende Selbstbewußtsein des Bürgertums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Hochphase der Porträtmalerei führte, arbeitete um 1850 bereits die Düsseldorfer Malerschule erstmalig die schwierigen Lebensbedingungen der Arbeiter auf. Daran knüpften im Naturalismus der 1880er Jahre Künstler und Künstlerinnen an wie Hans Baluschek in der Malerei, Max Klinger und Käthe Kollwitz in der Grafik, Constantin Meunier und Bernhard Hoetger in der Skulptur; die prekäre Situation des Proletariats formte ihr Bildprogramm entscheidend.

Im Ersten Weltkrieg griffen Industrie und Militarismus folgenschwer ineinander und prägten eine von wachsenden gesellschaftlichen Problemen belastete Nachkriegszeit. In diesem Spannungsfeld assoziierten sich Maler wie Conrad Felixmüller, George Grosz, Otto Dix sowie die Kölner Progressiven um Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert mit politisch linken Dynamiken, während die Künstler und Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit ihre Faszination für die neue Industrielandschaft umsetzten. In den Werken beispielsweise von Carl Grossberg, Max Beckmann oder Franz Radziwill oszillieren die Facetten der Großstadt und die übernatürliche Gewalt der Maschine.

Die Fotografie der Industriearchitektur erhält in Wuppertal einen eigenen Schwerpunkt: Nachdem in den 1920er Jahren Fotografen wie Eugen Batz oder Albert Renger-Patzsch sie zum abbildungswürdigen Gegenstand erhoben, widmet sich die „Subjektive Fotografie“ eines Peter Keetman in den 1950er Jahren oder das Schaffen von Heinrich Heidersberger in den 1970er Jahren einer künstlerischen Dokumentation der Industrieepoche.

Den zeitlich weiten Bogen runden Gegenwartskünstler und -künstlerinnen wie Andreas Sieckmann, Thomas Locher, Maike Freess und Maarten Vanden Eynde ab; sie blicken mit heutiger Kritik an Globalisierung und Umweltzerstörung, Materialismus und Militarisierung auf eine Epoche, in der Engels‘ Vision einer besseren Moderne eine verlockende Utopie blieb.

 

 

Vision und Schrecken der Moderne
17.11.2020 – 28.2.2021
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
D-42103 Wuppertal
Tel.: +49-202-5636231
Di – Fr 11 – 18 Uhr, Do 11 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 10 €
www.von-der-heydt-museum.de

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Von der Heydt-Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 76