Teilnehmende Künstler der von Anka Wenzel kuratierten Gruppenausstellung sind der 1988 in Cuernavaca México geborene Valentino Biagio Berndt, der heute ebenso wie der 1989 geborene Marlon Lanziner in Stuttgart lebt und arbeitet. Die finnische Foto- und Videokünstlerin Marja Helander, die 1965 in Helsinki geboren wurde, und die 1992 in Usbekistan geborene Anastasia Mityukova, die heute Genf ihre Heimat nennt, sowie die 1962 in Münster geborene Tochter eines britischen Offiziers Emma Stibbon machen den weiblichen Anteil der Künstlerschaft aus. Auch Arbeiten des 1965 in Karl-Marx-Stadt geborenen Carsten Nicolai, der in der Musikszene besser unter seinem Alter ego noto oder alva noto bekannt ist, und jene des 1951 geborenen Schweizer Künstlers Fridolin Walcher sind vertreten.
Der 1975 im chinesischen Qingtian geborene Jun Yang, der heute in Wien, Taipeh und Yokohama lebt und arbeitet, darf als Initiator für die Ausstellung „Freezing Point“ gelten, denn der chinesisch-österreichische Künstler geht von der Überlieferung aus, dass der Seefahrer Marco Polo von seinen Reisen nach China das Wissen um Speiseeis nach Europa gebracht hat. Der Mythos um die Herstellung und Haltbarmachung von Eis zum Verzehr ist daher zunächst der Ausgangspunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung, die bereits im November 2020 mit der Installation „Das Eis des Kaisers von China“ ihren Beginn fand: Einen Kubikmeter großen Eisblock, der in einer Holzkiste mit Stroh isoliert wurde, vergrub Jun Yang im Boden hinter der Villa Merkel im Park. Da weder die Ein- noch die Ausgrabung im Frühjahr 2021 aus pandemischen Beweggründen von Publikum begleitet werden konnte, dokumentierte man die Aktion mittels Videos und Fotos und teilte alles auf sämtlichen Social-Media-Ebenen. Denn Aktionskunst braucht stets ein Publikum!
Seit Jahrhunderten faszinieren Eis und Schnee die Menschheit, und so widmen sich auch die bildenden Künste diesem Thema. Wie sich Wasser bei Minusgraden von etwas Flüssigem zu etwas Festem verwandelt, dass die simple Unterschreitung der Temperaturgrenze von Null Grad Celsius das Spektakel einer Metamorphose der Aggregatzustände bewirken kann, hatte stets Potential für die künstlerische Auseinandersetzung und Aufarbeitung. Von idealisierten Landschaften über elementare Kräfte der Natur bis hin zu wissenschaftlicher Nüchternheit sind alle Darstellungsfacetten zu finden. Die nahezu einfache Geschichte um das Speiseeis und die gewaltigen Aspekte des Klimawandels, der mitunter durch das Schmelzen der Polkappen vorangetrieben wird, werden durch die präsentierten Werke verhandelt.
Durch das produktive Crossover der gezeigten Arbeiten von imposanten Schwarzweißfotografien riesiger Gletscherformationen oder fragilen Schneekristallen, die einen vielfältigen Mikrokosmos bilden, kreieren die Herangehensweisen der Künstler einen ebenso mannigfaltigen Kosmos. Die Förderung vor allem jüngerer Positionen der internationalen Gegenwartskunst entspricht voll und ganz dem Ideal des Ausstellungsbetriebes der Villa Merkel, in das sich „Freezing Point“ perfekt einfügt.
Freezing Point. Kunst unter Null Grad Celsius
13.2. – 18.4.2022
Villa Merkel
Galerie der Stadt Esslingen am Neckar
Pulverwiesen 25
D-73726 Esslingen am Neckar
Tel.: +49-711-35122640
Di 11 – 20 Uhr, Mi – So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 4 €, erm. 2,50 €
www.villa-merkel.de
Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Villa Merkel
Erstveröffentlichung in kunst:art 83