Ewiges Eis

25.11.2022-19.03.2023 | Museum Schnütgen

Mit kleinen Eisenhämmern wurden sie geformt, dann mit unterschiedlichen Sandsteinen grob und fein geschliffen und zu guter Letzt poliert – in einer Bergkristallwerkstatt des 12. Jahrhunderts wurde bereits mit bemerkenswerter Kunstfertigkeit dieses kostbare, vielfältige und vor allem sehr kompliziert zu bearbeitende Material für filigrane Bildwerke nutzbar gemacht. Davon zeugen die Überreste einer solchen Werkstatt, die 2005 in der Nähe des Kölner Doms entdeckt wurden.

Dieser Fund bildet auch einen zentralen Bezugspunkt der Ausstellung im Museum Schnütgen, die sich dem Bergkristall in besonderer Breite widmet mit über 130 Exponaten aus der eigenen Sammlung wie auch von internationalen Leihgebern.

Faszinierend und geradezu magisch wirkte der Kristall auf die Menschen bereits seit der Antike. Seine streng geometrischen sechseckigen Säulen, unterschiedlich klar bis opak durch Einschlüsse von Gas und Flüssigkeiten, die sie sich in ihrem Wachstumsprozess aus der Umgebung einverleibten, veranlassten nicht selten dazu, ihn eher der belebten als der unbelebten Welt zuzuordnen. Und die besondere Härte, Kühle und Klarheit des Materials wurde schon früh reizvoll für die Nutzung in höchst qualitätvollen Objekten wie Reliquiaren, ebenso wie in Schmuck und optischen Instrumenten.

Entsprechend weit spannt das Museum Schnütgen den Bogen: Er beginnt mit der Präsentation einer weitgehend unberührten Kristallstufe aus Arkansas, USA, die beeindruckende 490 kg auf die Waage bringt, sowie der Funde in der Bergkristallwerkstatt des 12. Jahrhunderts, die mit über 60.000 abgeschlagenen Splittern und einer 15 cm dicken Schicht abgelagerten Kristallstaubs beredte Zeugen des handwerklichen Alltags mit diesem Material sind.

Seine extreme Härte machte es unmöglich, den Bergkristall zu meißeln oder zu schnitzen, wie zum Beispiel Holz oder Bein. Es mussten stets Werkzeuge wie ein mit Schleifmitteln besetzter Bohrkopf oder gar Diamantsplitter genutzt werden. Mit diesem Wissen wird die Besonderheit eines Reliquienschreins deutlich, der – ganz im Gegensatz zu der Mehrheit mittelalterlicher Reliquiare – den Blick auf den sakralen Inhalt gänzlich offenbart mittels durchsichtiger Wände aus Bergkristall, die mühsam in diese Form geschliffen werden mussten.

Auch karolingische Gravuren detailreicher Bildwerke, die sich zu ganzen Geschichten fügen, setzten entsprechende Kunstfertigkeit voraus. Gleiches gilt für römische Trinkgefäße, eine asphärisch geschliffene Linse, die Wikinger als Sehhilfe nutzten, eine kleine plastische Skulptur aus der islamischen Dynastie der Abbasiden, die in einem christlichen Kokosnussreliquiar eine profunde Umdeutung erfuhr, und den Bergkristallknauf eines Schwerts aus dem Besitz von König Sigismund.

Jenes Mineral, das einst der römische Gelehrte Plinius der Ältere für versteinertes, niemals schmelzendes Eis hielt, und das auch in den späteren Jahrhunderten kaum weniger wundersam bis magisch assoziiert wurde, wird in Köln nun diachron und kulturübergreifend erfahrbar – begleitet von einer 448 Seiten starken Publikation.

Ninja Elisa Felske ist Kunsthistorikerin und freie Kuratorin.

Magie Bergkristall
bis zum 19.3.2023
Museum Schnütgen
Cäcilienstr. 29-33
D-50667 Köln
Tel.: +49-221-22131355
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 7 €
www.museum-schnuetgen.de

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Museum Schnütgen
Erstveröffentlichung in kunst:art 89