Lust auf einem kleinen Ausflug ins Universum? Marie Lienhard ermöglicht nun im Zeppelin Museum den Zugang zu einer Wirklichkeit, die man ohne die verwendete neueste Technologie nicht erleben könnte. Ein zwei Meter großer Heliumballon, an dem eine 360 °-Panorama-Kamera befestigt ist, steigt über Friedrichshafen auf zum Rand unserer Atmosphäre. Die Kamera erfasst das ganze Spektakel: Die Stadt wird immer kleiner, bis man darüber hinaus in den Weltraum blickt. In der Stratosphäre zerbirst der Ballon – wodurch die Betrachter im schwindelerregenden Sturzflug auf die Erde zurückkehren und in einem hängenden Sessel sitzend sicher landen. Diese immersive visuelle Erfahrung verursacht mithilfe der Virtual-Reality-Technik ein überwältigendes körperliches Gefühl der Schwerelosigkeit. Das Zeppelin Museum, das seinen Namen den von Graf Zeppelin in Friedrichshafen am Bodensee entwickelten Luftschiffen verdankt, macht Innovationen in Technik und Kunst erlebbar. Wenn sich nun dieses Museum in der Ausstellung „Fetisch Zukunft“ der Frage stellt, ob Technik die Welt retten und menschliche Sehnsüchte erfüllen kann, scheint die Antwort eigentlich vorgegeben.
Doch zu den zahlreichen Exponaten der Luftfahrtgeschichte aus der Museumssammlung wie dem Großmodell der Concorde oder dem Antrieb des Solarluftschiffs Lotte gesellen sich insgesamt 15 künstlerische Positionen. Die Arbeiten von Nuotama Frances Bodomo, Andreas Feininger, Alexandra Daisy Ginsberg, Alexander Kluge, Marie Lienhard, Tomás Saraceno, Jacolby Satterwhite, Timur Si-Qin, Anton Vidokle und Aby Warburg hinterfragen die schon seit über 120 Jahren entstandenen Ideen und Visionen, den Himmel zu befahren oder den Weltraum zu bereisen. In unserem von fragilen Ökosystemen, Überbevölkerung, Ressourcenknappheit und Krieg geprägten Kosmos wecken innovative Technologien Versprechen einer besseren Zukunft. Hinter Luftschiffen, Drohnentaxis oder dem Weltraumtourismus stehen daher oftmals ganz irdische, menschliche Sehnsüchte. Geprägt durch Technikvertrauen, Marketing und den Wunsch nach Fortschritt entwickeln sich Utopien, aber auch Dystopien. „Technologien galten immer wieder als Heilsbringer für eine Zukunft, in der alles besser wird. Mit Technologiegläubigkeit können die Probleme der Gegenwart beiseite geschoben werden“, so die Direktorin des Museums Claudia Emmert. Die Wunschbilder wie das Streben nach Geschwindigkeit, Freiheit, Frieden, Unsterblichkeit und Nachhaltigkeit unterscheiden sich über die Jahre in ihrem Kern wenig.
Ähnliche Utopien, die sich wiederholen, würden mit anderen Technologien verknüpft, so Emmert. Das Luftschiff versprach die friedliche Begegnung von Menschen auf verschiedenen Kontinenten, das Drohnentaxi das Ende des Staus sowie individuelle Mobilität und das Internet grenzenlose Freiheit und Demokratie. „Unsterblichkeit und Auferstehung für alle“ sind die Thesen des russischen Kosmismus, die im Film von Anton Vidokle thematisiert werden. Würde diese Wunschvorstellung Realität, gäbe es ein Platzproblem. Deshalb brauchen wir den Kosmos, zumindest die Utopie, diesen zu besiedeln.
Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es immer auf die Perspektive ankommt.
Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension
16.12.2022 – 16.4.2023
Zeppelin Museum Friedrichshafen
Seestr. 22
D-88045 Friedrichshafen
Tel.: +49-7541-38010
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 11 €, erm. 7 €
www.zeppelin-museum.de
Text: Stefan Simon
Bild: Zeppelin Museum Friedrichshafen
Erstveröffentlichung in kunst:art 89