Mehr als ein Naturschauspiel

19.3. – 13.8.2023 | Museum Sinclair-Haus

Wetterphänomen, Sehnsuchts- und Symbolträger, digitaler Raum: Wolken können in ihrer Lesbarkeit so wandelbar sein wie in ihrer Gestalt. Cumulus und Zirrus stehen in unseren Breitengraden nicht nur für sonnige, heitere Witterung, sondern auch für Freiheit, Leichtigkeit und Transzendenz. Umgekehrt bedeuten hoch aufgetürmte dunkle Formationen oder graue, tiefe Himmel Gewitter und Regen und versinnbildlichen in der Kunst oft Schwere oder Unheil. Dass die Wolke grundsätzlich etwas Ephemeres hat, führt schließlich auch zur Verwendung des englischen Wortes „cloud“ als abstraktem Begriff für die Speicherung unendlich vieler, nicht verortbarer digitaler Daten.

Was zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler an dem luftigen Thema fasziniert, zeigt nun die interdisziplinäre Ausstellung „Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“ im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg. Und darin geht es ausschließlich um die von der Landschaft gelöste Form, wobei der Blick von unten nach oben durch die Perspektive ergänzt wird, die man in und über den Wolken oder aus dem All hat.
Gerhard Richter (* 1932) breitet in seinen ikonischen Wolkenbildern, die er zwischen 1968 und 1979 malt, ganz unterschiedliche Blickwinkel, Farben und Stimmungen aus. Auf Grundlage fremder Fotos schafft er lebendig zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changierende Darstellungen. Auch Ian Fischer (* 1984) nutzt für seine hyperrealistischen Interpretationen Aufnahmen als Basis. Arnulf Rainer (* 1929) kombiniert dagegen das alte Medium der Heliogravur mit der Technik der Radierung und löscht die leichte Anmutung der Lichtbilder radikal aus.

Beeindruckende Wolkenstudien gehen auf die Fotografinnen Barbara Klemm (* 1939) und Isabelle Arthuis (1969) zurück, während sich Angela Schwank ( 1967) und Julius Bockelt (* 1986) dem Sujet sowohl von Seiten der Fotografie als auch der Zeichnung annähern und sich Schwank ausschließlich der Cirrusvariante widmet.

Direkt „en pleinair“ erfasst Gerhard Lang (* 1963) das Wesen der Wolken in großen, zeichnerischen Formaten. Seine Arbeit „Nubi Tempora“ ist in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst entstanden und vergleicht die künstlerische mit der wissenschaftlichen Erfassung. Auch im Werk von Lyoudmila Milanova (* 1979) spielen Satellitenaufnahmen eine Rolle, aus denen sie in Verbindung mit eigenen Fotos wolkenähnliche Skulpturen entwickelt.

Besonders magisch geht es in den Videos von Marie-Jo Lafontaine (* 1950) und Berndnaut Smilde (* 1978) zu, wobei der holländische Künstler eigens geschaffene Wolken durch große, leere Räume schweben lässt.
Mit digitaler Fotografie, neuen, oft selbst generierten Programmen und Speichermöglichkeiten beschäftigen sich neben Adrian Sauer (* 1976) auch Noa Jansma (* 1996) und Jonas Fischer (* 1988), die sich durchaus kritisch zu globalen Marktmechanismen und klimaschädlichen Emissionen äußern.

Dr. Julia Behrens ist Kunsthistorikerin und interessiert sich besonders für den Aspekt der Kunstentstehung.

Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud
19.3. – 13.8.2023
Museum Sinclair-Haus
Löwengasse 15 (Eingang Dorotheenstr.)
D-61348 Bad Homburg v.d.H.
Tel.: +49-6172-5950500
Di – Fr 14 – 19 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 4 €
www.museum-sinclair-haus.de

Text: Dr. Julia Behrens
Bild: Museum Sinclair-Haus
Erstveröffentlichung in kunst:art 90