«Chinese Whispers» (chinesisches Geflüster) bietet einen vertieften Einblick in die Kunstproduktion Chinas der letzten 15 Jahre und ermöglicht es den Besuchenden, das Land aus der Sicht von Kunstschaffenden von Ai Weiwei bis Zhuang Hui zu entdecken. Sie knüpft an die «Mahjong»-Ausstellung an, die 2005 von Bernhard Fibicher und Ai Weiwei kuratiert im Kunstmuseum Bern stattfand und weltweit Beachtung fand, weil sie erstmals in grossem Umfang chinesische Gegenwartskunst im Westen zeigte.
Der Titel «Chinese Whispers» bezieht sich auf das Kinderspiel «Stille Post», bei dem Personen eine Nachricht weiterflüstern, die sich im Lauf der Zeit verfälscht. Diese Idee von Überlieferung, Austausch, Missverständnis und Verzerrung liegt auch der Ausstellungskonzeption zu Grunde. Einerseits wird der Einfluss der westlichen Gegenwartskunst auf das chinesische Schaffen sichtbar, andererseits werden die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und den Lebensbedingungen im heutigen China reflektiert. Die Ausstellung hinterfragt zudem, welche Wahrnehmung der Westen von China hat – dem grössten Kulturraum und der zunehmend grössten globalen Wirtschaftsmacht, die zwar näher rückt, aufgrund kultureller, historischer und politischer Differenzen gleichwohl fremd bleibt.
Die Ausstellung macht erlebbar, wie sich die chinesischen Künstler und Künstlerinnen eine Position zwischen Westen und Osten, Fortschritt und Tradition erarbeiten. Sie versuchen, selbstbewusst beides zu vereinen und eine eigene Identität im globalen Kunstbetrieb zu finden. Gleichzeitig kommen die Auswirkungen des drastischen Wandels in China im Stadtraum, im Umgang mit Ressourcen, in der Dokumentation der jüngsten Geschichte sowie in der Kritik des politischen Systems oder der emotionalen Innenschau zum Ausdruck.
Die chinesische Gegenwartskunst ist ein Phänomen ohne Parallele. Anders als die heutige westliche Kunst, die aus einer Abfolge kunstgeschichtlicher Entwicklungen entstanden ist, machte die Kunst in China nach der zaghaften politischen Öffnung in den 1980er Jahren einen Sprung. In kürzester Zeit griffen chinesische Künstlerinnen und Künstler die verschiedenen modernen Kunstrichtungen des Westens auf, die sie bis anhin «verpasst» hatten. Die Inhalte waren dennoch genuin chinesisch und oft eine Reaktion auf die schwierige politische und gesellschaftliche Situation der Zeit. Seit der Jahrtausendwende ist eine neue Generation Kunstschaffender am Werk, die einerseits global tätig ist und dort an vorderster Front mitmischt sowie sich andererseits wieder vermehrt auf die eigene, sehr reiche künstlerische Tradition besinnt.
Uli Sigg – Wirtschaftsjournalist, Unternehmer, Schweizer Botschafter in China (1995 bis 1998) und Kunstsammler – begann sich Ende der 1970er Jahre mit der chinesischen Gegenwartskunst zu befassen und in der Folge als Erster in systematischer Weise ihre Werke zusammenzutragen. Ganz bewusst sammelte er nicht nach seinem Geschmack, sondern in repräsentativer Weise, wie es dem Auftrag einer Nationalgalerie entspräche. Deshalb gilt seine Sammlung von mehr als 2‘200 Werken von etwa 350 Kunstschaffenden als die weltweit umfangreichste. Dieses einzigartige Konvolut, das 40 Jahre chinesische Kunstgeschichte umfasst, wollte Sigg von Beginn an in sein Ursprungsland zurückbringen. Er fand in dem in Hongkong neu gegründeten M+ Museum for visual culture im West Kowloon Cultural District, Hongkong, die ideale Stätte und vermachte der Institution 2012 einen grossen Teil seiner Sammlung. M+, vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfen, wird 2019 eröffnet und zu einem der weltweit grössten Museen zählen. Die «M+ Sigg Collection» wird den Grundstock der Museumssammlung bilden. Die Ausstellung «Chinese Whispers» speist sich aus Exponaten der M+ Sigg Collection wie auch aus der Privatsammlung von Uli Sigg, welche weiterhin wächst.
«Chinese Whispers» ist das bislang aufwendigste Kooperationsprojekt der beiden grossen Berner Kulturinstitutionen Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, die seit Mitte 2015 unter einer gemeinsamen Dachstiftung operieren. Sie stellen mehr als 4‘000 m2 ihrer Ausstellungsflächen zur Verfügung, um dem Schweizer und europäischen Publikum eine spannende Auswahl von 150 Werken, darunter auch eine Anzahl spektakulärer Installationen, zu präsentieren. Danach werden ausgewählte Werke der Ausstellung im Frühjahr 2017 im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst in Wien zu sehen sein, bevor die Werke der M+ Sigg Collection nach Hongkong überführt und dort ab 2019 permanent gezeigt werden.
Text: Kunstmuseum Bern | Foto: Kunstmuseum Bern
Externer Link: Kunstmuseum Bern
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