von Sabine Scheltwort //
Ein Mann? Ein Hirsch? Es ist eine merkwürdige Figur, die Charles Fréger fotografierte, ebenso faszinierend wie furchterregend. Die Aufnahme aus Rumänien gehört zu seiner Serie „Wilder Mann“, für die er in 18 Ländern Männer aufnahm, die in Tierkostüme schlüpften, um seltsame Rituale zu vollziehen. Hier geht es darum, dass der Hirsch tanzt, stirbt und wiederaufersteht – ein Sinnbild für den Winter und die im Frühjahr erneut erwachende Natur und Fruchtbarkeit. Der französische Fotograf sagt: „Die Idee ist, der Schönheit dieser lebenden Skulpturen Referenz zu erweisen, die durch lebendig gebliebene Rituale entsteht. Hier können wir die Wurzeln der ursprünglichen menschlichen Natur spüren, zwischen dem Fell und dem Geweih. Sie erinnern uns an das Animalische in uns.“ Hier lebt ein Ritual, wie es sonst nur noch weitgehend gezähmt in Karnevalsbräuchen vorkommt. Mit ihrer außergewöhnlichen Kunstsammlung umkreist Reydan Weiss die Fragen der Identität: Was macht uns aus, was prägt uns? Zu welcher Gruppe gehöre ich, und wie unterscheide ich mich als Individuum von den anderen? Wer ist ich, und will ich überhaupt ich sein oder lieber ein anderer?
Oft sind es die heimischen Wurzeln, die unsere Identität stark formen. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Reydan Weiss die Frage nach der Identität immer wichtig war. Sie ist in Jordanien aufgewachsen und in Israel zur Schule gegangen, sie kam zum Studium nach Deutschland und lebt heute ebenfalls in Neuseeland und in der Türkei. Weiss ist eine Wanderin zwischen den Welten, auch in ihrer in 30 Jahren erworbenen Sammlung, die sich durch eine außergewöhnliche Offenheit, Neugier und Vielfalt auszeichnet. Arbeiten arrivierter Künstler wie Gerhard Richter oder Anselm Kiefer stehen neben Bildern des in Europa noch wenig bekannten australischen Malers Warlimpirrnga Tjapaltjarri aus der Aborigines-Kultur.
„Doing identity“, so der Titel der Sammlungspräsentation im Kunstmuseum Bochum, bedeutet, dass Identität nichts Fixes, Ererbtes oder einmal Erworbenes ist, sondern ständig im Fluss und neu zu gestalten. Ein junges Kuratorenkollektiv des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn entwickelte das Ausstellungskonzept und wählte 270 Arbeiten aus der Sammlung aus. Dazu gehört zum Beispiel die Fotografie von Zwillingen, die wandelnde Identitätsfrage auf zwei – beziehungsweise vier – Beinen. Albrecht Tübke nahm sie vor weitgehend neutralen Landschaften auf, so dass der Betrachter keine Hilfe bekommt, aufgrund irgendwelcher Accessoires auf ihr Leben zu schließen. Einziges Distinktionsmerkmal ist die Wahl von Rundhals- oder V-Ausschnitt für den schwarzen Pullover. Nicht fehlen dürfen natürlich auch die fotografischen Rollenspiele und Selbsterkundungen von Cindy Sherman. Freaks und Außenseitern spürt die 1984 in Schweden geborene Malerin Emeli Theander, die heute in Berlin lebt, nach. Sie hat sich mit dem alten nordischen Volksglauben Gastkramad befasst und malt Mischwesen zwischen Mensch und Geist.
doing identity. Die Sammlung Reydan Weiss
25.11.2017 – 4.2.2018 , Kunstmuseum Bochum
Kortumstraße 147, 44777 Bochum
Tel.: +49-234-9104230
Di – So 10 – 17 Uhr, Mi 10 – 20 Uhr
Eintritt: 5 €, erm. 2,50 €
www.kunstmuseumbochum.de
Text aus der kunst:art 58
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