Artland Heartland | Thomas Hirschhorns nicht-exklusives Museum aus Präsenz und Produktion – Teil 1

Serie: Museum I

Thomas Hirschhorn «The Bijlmer Spinoza-Festival», 2009 (Marcus Steinweg – Daily Lectures) ‘Open Source’, commissioned by Streets of Sculptures, Amsterdam, 2009. Photo: Vittoria Martini. Courtesy: The artist.

 

Thomas Hirschhorn «The Bijlmer Spinoza-Festival», 2009 (Spinoza-Car). ‘Open Source’, commissioned by Streets of Sculptures, Amsterdam, 2009. Photo: Vittoria Martini. Courtesy: The artist.

Schriftliche Äußerungen von Künstlerinnen und Künstlern haben zumeist etwas Beeindruckendes. Sie können aus ihrem ganz persönlichen Horizont heraus berichten und dabei die Kämpfe, Einsichten und Mythologien zusätzlich zu ihrem Hauptmedium sichtbar machen. Thomas Hirschhorn arbeitet vornehmlich mit Assemblagen, Collagen, Installationen, Environments, oder allgemeiner „Ereignissen“, die einfache „prekäre“ Materialien beinhalten. Dazu hat er einen Schriftenkorpus aufgebaut, der nicht nur Auskunft über seine Kunst gibt, vielmehr formuliert er darin Forderungen an sich selbst sowie an die „Kunstwelt“ im Allgemeinen (obwohl er diesen Begriff so nicht benutzen würde, denn es geht gerade darum, vom exklusivem Insidertum wegzukommen).

Aus diesem Grund hat Hirschhorn einen Sprachgebrauch und eine Syntax entwickelt, die sich radikal abhebt: denn sie ist leicht lesbar. Seine Sätze sind kurz und seine Wortwahl eindeutig, zur Not werden Gedanken über viele Texte hinweg immer wieder aufgenommen und erklärt. Niemals in einem abwägenden Duktus, sondern jeder Satz ist eine kleine, präzise Behauptung. Hinzu kommt, – und dies ist ein Vorteil, den er mit Künstlern im Allgemeinen teilt – dass Hirschhorn Wörter benutzen kann, die im kritischen Kunstdiskurs bereits lange ausgestorben sind, da sie als nicht-auflösbare Gemeinplätze gelten. Als da wären: „Wahrheit“, „Universalität“, „Gerechtigkeit“, „Gleichheit“ oder gar „Autonomie“.

Thomas Hirschhorn «The Bijlmer Spinoza-Festival», 2009 (Running Events: T-Shirt en mok workshop’). ‘Open Source’, commissioned by Streets of Sculptures, Amsterdam, 2009. Photo: Vittoria Martini. Courtesy: The artist.

Mit exakt diesen Wörtern charakterisiert Hirschhorn Das Museum der Zukunft in seinem gleichnamigen Manifest aus dem Jahr 2015, welches im aktuellen Band von Kunstforum International ins Deutsche übersetzt wurde. Die „8 Bedingungen“, die ein Museum der Zukunft aufweisen muss, sind ein geschicktes Amalgam seiner gesammelten Schriften, die 2013 unter dem Titel Critical Laboratory herausgegeben wurden. Jedoch sind sie nicht eine bloße Wiederholung, sondern ein folgerichtiges Kondensat seiner Vorgehensweise. Der Sprach-Purist Hirschhorn fasst die Aussagen nochmals zusammen – aus einfach wird noch einfacher.

Damit will er sich an ein „nicht-exklusives Publikum“ richten. Es steht allgemein im Zentrum seines Schaffens und sollte auch im Zentrum jedes Museums stehen. Die Institution soll niemanden ausschließen, nichts „Exklusives“ aufweisen. Sei es durch strukturelles, wie Öffnungszeiten (das Museum der Zukunft hat 24/7 geöffnet) und Eintrittsgeldern (das Museum der Zukunft ist kostenlos) oder durch sozial-gesellschaftliches: das Museum der Zukunft nimmt Abstand von jeglicher Konsumierbarkeit oder Eventcharakter (Mode, Glamour, Gefälliges usw.).

Thomas Hirschhorn «The Bijlmer Spinoza-Festival», 2009 (Spinoza-Car). ‘Open Source’, commissioned by Streets of Sculptures, Amsterdam, 2009. Photo: Vittoria Martini. Courtesy: The artist.

Die Notwendigkeit ergibt sich für Hirschhorn durch das allmähliche Verschwinden des öffentlichen Raums. Museen müssen dies korrigieren, indem sie sich als „Kontaktzonen“ (James Clifford) anbieten. Der so schwach abzugrenzende Begriff des „öffentlichen Raums“ gerät durch die neo-liberale Wirtschaftsordnung so weit in die Peripherie, dass die Aufgabe darin besteht, für eine „Herstellung oder Wieder-Herstellung des öffentlichen Raumes“ zu sorgen. Dass Hirschhorn dafür das Museum auswählt, es also als Zentrum und legetimen Versammlungsort der Gemeinschaft, wie eine Nachfolgeinstitution der Kirche, sieht, macht zunächst Hoffnung für die Kunst und ihre Bedeutung.

Jedoch weisen zwei von Hirschhorns Hauptbegriffen seiner Kunsttheorie in eine andere Richtung und relativieren den Anflug von Geltungsfreude wieder etwas. Sein Diktum der „Präsenz und Produktion“ benennt er als „Werkzeug“ zur Herstellung dieses öffentlichen Raums, an anderer Stelle sogar als Synonym dafür. Mehrfach kodiert steht „Präsenz und Produktion“ einerseits für eine Arbeitsweise und andererseits für eine Gruppe von Installationen. Paradigmatisch dafür ist das Bijlmer Spinoza Festival, welches im Sommer 2009 auf einer Grünfläche des Amsterdamer Stadtteils Bijlmer veranstaltet wurde (mehr dazu im 2. Teil dieses Beitrags). Zu dieser Werkgruppe können ebenso das Bataille Monument auf der Documenta XI 2002 und das Gramsci Monument von 2013 in New York City gezählt werden. Alle Standorte bzw. Austragungsorte hatten gemein, dass ihnen das Image des „Problemviertels“ anhing. Hirschhorn versuchte, einen öffentlichen Raum für ein „nicht-exklusives Publikum“ zu errichten, in jenem Milieu, in dem er es direkt anzutreffen hoffte. Also setzte er ein Kunstwerk mit vielen Begleitveranstaltungen direkt auf die kommunale Grünfläche vor die Haustür, um elitäre Berührungsängste abzubauen. Natürlich hat diese Aktion Hirschhorn den Vorwurf des „sozialen Exotismus“ eingebracht. Der wichtige Punkt ist jedoch vielmehr, dass Hirschhorn damit deutlich macht, wo er bei seinem Museum der Zukunft ansetzen möchte. Der neue öffentliche Raum des Museums fängt in den Gemeinden an, die womöglich zuletzt mit Kunst in Berührung kommen. Er bezieht sie sogar soweit mit ein, dass er die Autorenschaft für das Kunstwerk mit den lokalen Helfern teilt, die auf Mitarbeiterbasis angeheuert werden.

Thomas Hirschhorn «The Bijlmer Spinoza-Festival», 2009 (Internet Corner). ‘Open Source’, commissioned by Streets of Sculptures, Amsterdam, 2009. Photo: Anna Kowalska. Courtesy: The artist.

Für Hirschhorn ist dabei grundlegend, dass sein „Ereignis“ nicht mit sozial engagierter oder kommunaler Arbeit verwechselt wird. Es ist Kunst. Ein autonomes Kunstwerk, welches die Konfrontation mit seiner Umgebung eingehen und sich behaupten muss. Mit Blick auf das Museum der Zukunft geht Hirschhorn sogar noch einen Schritt weiter: Es muss ein „Zuhause“, gar ein „Schutzraum“ sein. Dieses „Museum“ beherbergt dabei wahrscheinlich nicht ausschließlich seine Kunstwerke, sondern verlangt von jedem beteiligten Artefakt zu „leuchten, wo auch immer es ist“.

Die Gemengelage von „öffentlichem Raum“ und „Präsenz und Produktion“, welche zur Reformation des Museums führen muss, wird im zweiten Teil dieses Beitrags am Bijlmer Spinoza Festival angewendet. Es gibt das Rüstzeug an die Hand und zeigt, wie Hirschhorns Proklamationen praktisch umzusetzen sind.

 

 

 

 

 

 

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