Philosophie, Wurst und Schweizer Landschaften

29.4. – 27.8.2023 I Bündner Kunstmuseum Chur

Dieter Roth, Solothurner Bahnhofsplatz, 1970

Eine Werkschau von Dieter Roth im Bündner Kunstmuseum Chur Christian Hofmann

Schon von Geburt an lässt sich Dieter Roth nur ungern in Grenzen einfassen: Als Sohn eines Schweizers und einer Deutschen in Hannover geboren, verließ er 1943 Deutschland in Richtung Schweiz – erst Zürich, dann Bern. Schon in den Fünfzigerjahren ging es für Roth weiter nach Island und in die USA. 

Künstlerisch bewegte sich Roth ebenso außerhalb der allseitig anerkannten Grenzen. In den Sechzigerjahren schloss er sich der Fluxus-Bewegung an, die die Grenzen zwischen Künstler und Werk ebenso flüssig werden ließ wie jene zwischen Hoch- und Angewandter Kunst. In seiner weiteren (Wahl-)Heimat New York war Roth damit am richtigen Platz. Entsprechend gestaltete er seine Arbeit nicht nur auf der Leinwand der Alten Meister, sondern vor allem auch in Alltags- und Gebrauchsgegenständen. Er ergänzte, wenn auch unfreiwillig, sein Einkommen aus einem Lehrauftrag an der Yale University mit dem eines Werbegrafikers für einen Pharmakonzern und wurde, in Verkehrung klassischer Geschlechterrollen, zur männlichen Muse von Dorothy Iannone. 

Das kuratierende Team von Ina Janssen und Dirk Dobke hat für Dieter Roths Werkausstellung „Gepresst, Gedrückt, Gequetscht“ im Kunstmuseum Graubünden, die zuvor in den Deichtorhallen in Hamburg gezeigt wurde, rund 200 seiner druckgrafischen Arbeiten zusammengetragen, ergänzt von Künstlerbüchern. Dabei geht es um die Wurst, ebenso wie um Schokolade, Erdnussbutter oder Käse. Zu Wurst macht Roth Literatur von den großen Philosophen ebenso wie eine Ausgabe der „Welt“. Das Faszinierende dabei ist für Roth der Verfall, der eine integrale Rolle seiner Arbeit mit Lebensmitteln ausmacht. Unter diesem Eindruck gewinnt auch seine in klassischer Siebdrucktechnik erstellte Arbeit, die typische und als idyllisch bekannte Landschaften etwa des Berner Oberlandes darstellt, eine völlig andere Dimension. Die ist weit entfernt von heimelnden Postkarten, die den Ausgangspunkt für einige seiner Grafiken darstellten. 

Die Motive aber wirken stark, heute gehören diese in den um 1970 entstandenen Arbeiten zu den bekanntesten von Dieter Roth. Dabei scheint es in all seinen Werken nicht um das vordergründig Dargestellte zu gehen, sondern in hintergründiger Weise  immer auch um den Künstler selbst und seine facettenreiche Biografie, allerdings in kritischer Selbstbetrachtung statt in Narzissmus. Mit der Werkschau „Gepresst, Gedrückt, Gequetscht“ zeigt das Graubündner Kunstmuseum eine Übersicht über alle, in seiner Vielfalt und seinem Abwechslungsreichtum eigentlich unübersichtlichen Schaffen des Multikünstlers Dieter Roth. Nach der Station in Hamburg wurde die Schau für das Bündner Kunstmuseum etwas angepasst. Dabei fasst sie aber ebenso wie in den Deichtorhallen die überbordende Freude an der Vielfalt künstlerischer Ausdrucksmittel von Dieter Roth zusammen. So macht sie nicht nur das kreative Potenzial von Dieter Roth sichtbar, sondern auch die Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Druckgrafik. 

Der Kunsthistoriker Christian Hofmann lebt und arbeitet in den Kunstmetropolen Köln und Berlin.

Dieter Roth. Gepresst gedrückt gequetscht​
29.4. – 27.8.2023
Bündner Kunstmuseum Chur
Bahnhofstr. 35
CH-7000 Chur
Tel.: +41-81-2572870
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr 
Eintritt: 15 CHF, erm. 12 CHF
www.kunstmuseum.gr.ch

Text: Christian Hofmann
Bild: Bündner Kunstmuseum Chur
Erstveröffentlichung in kunst:art 92

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