Mit behutsamem und sicherem Griff nimmt Peter Janssen das kleine Tierchen auf, das sich ganz lebendig an die hohle Innenfläche der Hand zu schmiegen scheint. Jedes der wohl mehreren hundert Glieder wird nahezu magisch in Bewegung gesetzt – der in der Hand innenliegende Blutstrom lässt das Tier seinerseits zu einem Geschöpf der Wärme werden. Man meint, der kleine „Fuchur“ würde sich gleich in die Luft erheben wie das fantastische Wesen aus Michael Endes Buchwelt. Peter Janssen lässt den kleinen Drachen auf seiner Hand mit der hellen Begeisterung eines kleinen Jungen tanzen. In dieser Schmiede-Arbeit wird nicht nur die Kunstfertigkeit, sondern auch die Magie jener Welt sichtbar, die in der europäischen Kulturgeschichte bisweilen nur als Zitat sichtbar wird. Mit der Eröffnung des neuen Samurai Museums in Berlin wird ein Tor in jene Bereiche aufgestoßen, die viel überraschende Gemeinsamkeiten mit unserer Kultur offenbaren. Präsentiert wird sie anhand von über tausend Exponaten, die den Besuchern nicht nur die Saga der legendären Samurai erleben lassen, sondern auch viel für die kulturelle Verständigung von heute tun können.
Gerade weil die Samurai so viel Bedeutung in der japanischen Historie transportieren, müssen Faszination und geschichtlicher Hintergrund für ein westliches Zielpublikum erst lesbar gemacht werden. Das passiert mit dem Einsatz von multimedialer Technik. So wird mit einem 12-minütigen Film in die japanische Kulturgeschichte eingeführt. Mit Hilfe von Touchscreens wird auf bis heute wirksame Symbolik eingegangen, Zusammenhänge werden offenbart, religiöse Einflüsse, wie etwa zwischen Buddhismus und Shintoismus, aufgezeigt.
Mit knapp zwanzig Jahren kam Peter Janssen über den Karate-Sport mit der japanischen Kultur in Berührung, ein antikes Samurai-Schwert – erstanden auf einem Flohmarkt – barg den Beginn seiner Sammelleidenschaft. „Es ist ausgeufert“, sagt er lachend, als er durch die noch unfertige Ausstellung seines neuen privaten Museums in der kunstprominenten Auguststraße 68 schreitet. Dabei wird an diesem Ort immer noch ein Bruchteil der insgesamt 4.000 Gegenstände zählenden Sammlung gezeigt, wiewohl die nun bezogenen Räume den Exponaten weit mehr Raum bieten als die im vormaligen Ausstellungshaus – eingerichtet in der zur Unternehmensgruppe Janssens gehörenden Seniorenresidenz in Zehlendorf. Ein Anziehungspunkt vor allem für Experten, wie Kuratorin Martyna Lesniewska weiß.
Peter Janssens seit den 1960er-Jahren gesammelte Artefakte bilden die größte Sammlung dieser Art in Europa und laufen in ihrer Dichte selbst öffentlichen Sammlungen den Rang ab – auch wenn zu den großformatigen historischen Rüstungen mit ihren goldenen und silbernen Details, den seidenen Textilfassungen und den feinsten Eisentreibarbeiten auch zahlreiche Kleinode wie etwa dekorative Schwertstichblätter gehören. Dem verstaubten Vitrinen-Charme manch öffentlicher Sammlung stellt Janssen im neuen Museum eine narrative Tiefe entgegen, welche die gezeigten Rüstungen und die Masken der Samurai als sinnliche Bezugspunkte die Saga der Samurai tatsächlich erlebbar machen: Diese Saga beginnt im 12. Jahrhundert, als die Kriegerkaste aus dem politischen Konfliktgeschehen entstand und die Armee bis zu 100.000 Mann zählte. Sie erstreckt sich jedoch schwerpunktmäßig auf die von Frieden geprägte Edo-Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Hier ging die Kriegskunst der Samurai in eine neue Bürgerlichkeit über.
Auch deshalb sind die vom Krieg geprägten Artefakte um eine nachgebaute Nō-Theaterbühne orchestriert, auf der echte Nō-Schauspieler in digitaler Projektion interagieren. Neben Malerei und Kalligrafie nur eine von vielen Traditionen, die alle in der Kultur der Samurai begründet liegen. Es ist eine Zeitreise, die dem westlich geprägten Besucher auch das gesellschaftliche Wertesystem des heutigen Japan näher bringt. Aussagekräftig sind hier selbst die feingliedrigen Tiere aus Eisen, die neben einer aufwendig medial inszenierten Sammlung von Samurai-Schwertern zu finden sind: Fabelwesen, die auch noch heute als lebende Nationalschätze verehrt werden, geschmiedet von Meistern ihrer Zunft.
Samurai Museum Berlin
ab dem 8.5.2022
Auguststr. 68
D-10117 Berlin
Tel.: +49-30-62975635
Mo – So 11 – 19 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 8 €
www.samuraimuseum.de
Text: Karolina Wrobel
Bild: Samurai Museum Berlin
Erstveröffentlichung in kunst:art 85