Simone Westerwinter in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen

Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen | bis zum 13.1.2019

Simone Westerwinter, Sweet Structures, 2011

Revolution (Make Up) Palette

Nein, Simone Westerwinter plant keinen Umsturz. Ihre Ausstellung „Revolution (Make-up) Palette“ zielt auf ihr fast 30-jähriges Lebenswerk, das geprägt ist von einem erweiterten Begriff der Bildhauerei. Durch dieses neue Skulpturverständnis entwickelte sich Simone Westerwinter von der Bildhauerin zur konzeptionellen Performerin unter Einsatz ganz unterschiedlicher Kunstmittel.
Ganz präzise bringt sie ihre Vorstellungen auf den Punkt, um den ihr künstlerisches Schaffen kreist. Sie will durch Kunst den schwierigen Prozess ständiger Entscheidungsfindungen erfahrbar machen. Dazu wählt sie zunächst den Weg über Bilder.

In schwarz-weißen Comic-Ja-Nein-Sprechblasen-Bildern verdeutlicht sie die damit verbundene Schwarz-Weiß-Malerei und weitet die Thematik auf rosa und hellblauem Hintergrund aus zur schelmischen Hinterfragung von männlichen und weiblichen Rollenfigurationen in der kindlichen Sozialisation. Wenn Hellblau und Rosa gegengleich durchschimmern, deutet sie die Lösung in der Annäherung polarisierender Standpunkte an. Denn nicht Entweder-Oder, sondern „Palette“ ist ihr Zauberwort, eine Metapher für viele Möglichkeiten, die Simone Westerwinter über die Farbfeldmalerei einbringt. Viele Farben ermöglichen neue Perspektiven und Lösungen. Gleichzeitig spielt sie damit raffiniert mit Kunststilen der Moderne, indem sie zum Beispiel Farbfeldmalerei durch Titel wie „Regenbogen“ oder konkrete Malerei ins Narrative transferiert und damit inhaltlich konkretisiert. Unter dem „Make-up“ der Kunst offeriert Simone Westerwinter die Palette dessen, was Leben ausmacht, Lebensfreude durch Vielfalt.

Das wird ganz besonders deutlich in ihren großen Installationen. So karikiert eine große „Picknickdecke“, aus erdfarbenen Kissen zu einem Karomuster zusammengenäht mit Vogelgezwitscher aus dem Off, „kariertes“ Denken in starren Mustern mit der Freiheit in der Natur. Schüler ließ sie im Vorfeld in einer Polonäse durch das Museum jagen, beim „Parcouring“ Jugendliche paarweise akrobatisch auf den Treppen hüpfen. Als Video in der Ausstellung präsentiert bekommen die Besucher so neue Impulse, wie Museum einmal ganz anders erlebt werden könnte. Die Besucher dürfen auch entscheiden, ob sie lieber rosa Zuckerwatte oder ein geschminktes blaues Auge haben wollen, symbolisch gesehen eine Entscheidung für Heile-Welt-Lebensgefühl oder rebellischen Widerstand. Zu süß bzw. zu schmerzhaft  kann auch diese Entweder-Oder-Entscheidung nicht wirklich befriedigen. Das ist eine Ausstellung mit Schalk und Charme und Tiefgang.

Parallel widmet die Galerie dem Besigheimer Künstler  Matthias Gnatzy zu seinem 70. Geburtstag eine Ausstellung. Vier Räume werden zu den „Vier Kammern des Herzens“, zu Wunderkammern mit  filigran exotischen Ätzradierungen und Objektcollagen mit facettenreichen Bezügen zu Literatur, Musik, Natur- und Kunstgeschichte.

Michaela Schabel lebt und schreibt in Süddeutschland.

Simone Westerwinter. Revolution (Make-up) Palette
27.10.2018 – 13.1.2019
Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen
Hauptstr. 60-64
D-74321 Bietigheim-Bissingen
Tel.: +49-7142-74483
Di – Fr 14 – 18 Uhr, Do 14 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt frei
galerie.bietigheim-bissingen.de

Text: Michaela Schabel | Erstveröffentlichung kunst:art 64
Bild: Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen