Museum der bildenden Künste Leipzig

5.12.2020 – 5.4.2021 | Museum der bildenden Künste Leipzig

Was mag ein Archäologe der Zukunft in den Sedimenten der Welt, in der wir heute leben, finden? Schicht um Schicht würde er diese Sedimente abtragen, im großen Ganzen kleine Details entdecken und sich aus den gefundenen Bruchstücken und Artefakten ein Bild machen. „Meine Bilder sind für die Ewigkeit“, sagte der Fotograf Andreas Gursky noch anlässlich seiner Düsseldorfer Ausstellung im Jahr 2013. Der Fotokünstler meinte mit seinem Ewigkeitsanspruch sicherlich nicht den Wert seiner Werke, obwohl sie zu den teuersten der Welt gehören. Vielmehr mag er sich als eine Art Archäologe oder eine Art Dokumentarist verstehen, der die Artefakte heutiger Hochkultur festhält – sowohl in einer visuellen als auch in einer physischen Form. Denn um seine Fotografien wirklich haltbar zu machen, nutzt Andreas Gursky ein spezielles technisches Verfahren. Die Pigmentdrucke werden regelrecht verschweißt. Weitaus faszinierender und fesselnder – zumindest für die weniger Technikbegeisterten – ist jedoch erst die visualisierte Ästhetik und die ausgefeilte Komposition seiner Bilder: Konsumtempel, Müllteppiche und Börsengeschehen organisiert er auf dem Bildträger in einer Weise, der wir zugleich anheimfallen und doch nicht vertrauen können. Es sind Bilder, manchmal überschäumend vor Fülle an Objekten. Ein anderes Mal fängt er die fantasielose Geometrie der heutigen Industriearchitektur ein.

Nun sind seine Werke erstmals auch in seiner Geburtsstadt Leipzig zu sehen. Das Museum der bildenden Künste Leipzig zeigt rund achtzig seiner größtenteils großformatigen Fotografien. Eine Werkauswahl, welche die zu Ikonen aufgestiegenen Arbeiten ebenso umfasst wie bisher noch nie museal gezeigte neue Werke. Im zur Ausstellung erscheinenden Künstlerbuch geht Andreas Gursky zudem noch auf seine familiären Einflüsse ein und zeigt die Arbeiten seines Vaters und Großvaters (1890–1960), die als Werbefotografen arbeiteten. Jahrelang betrieb der Vater Willy Gursky in Leipzig ein Atelier, bevor er im Geburtsjahr seines Sohnes die DDR mit seiner Familie verließ und sich in Düsseldorf niederließ. Heute gehören die Bilder seines Sohnes zu den weltweit am höchsten Gehandelten. Sie erzielen Auktionsrekorde, wie etwa die Fotografie „Rhein II“ im Jahr 2011 mit 4,3 Millionen US-Dollar. Oder die Fotografie „99 Cent“, die zehn Jahre zuvor 2,26 Millionen US-Dollar erzielte. Dabei führen diese Bilder weit weg von dem auratischen Augenblick, wie ihn noch Fotografen der Generation Henri Cartier-Bressons einfingen. Sie sind keine Zufallsprodukte, sondern entspringen einer Schule des Sehens, wie sie bei Bernd Becher gelehrt wurde. Die dokumentarische Ästhetik von Bechers Industriearchitektur übersetzt Andreas Gursky in flächige Monumentalbilder, dabei bearbeitet er seine Bilder, ergänzt Objekte, Personen, feinste Details. So setzt er seine Fotografien bildnerisch Schicht um Schicht zusammen, was aus vertrauten Ansichten abstrakte Bildformen entstehen lässt.

Dabei ist es nicht bloß eine banale Überwältigungsästhetik, die hier Wirkung zeigt. Es sind die nahezu mathematisch-mandelbrotschen Details selbst, die das Auge ins Bild hineinziehen. So etwa im Bild „Chicago Board of Trade III“ aus dem Jahr 2009, das mit den Akteuren und Papierfetzen wie ein Wimmelbild anmutet und die Verflüssigungen des globalisierten Handels gleichsam bildnerisch festhält. Oder die tote Flächigkeit eines Kreuzfahrtschiffes, das er ähnlich Candida Höfers Innenraum-Porträts in seiner strengen Geometrie festhält, sodass er das Werbeversprechen des Schiffsnamens („Norwegian Rhapsody“) als Freizeitmaschinerie offenbart. Ein Bild, das auch an das ikonografische „Paris, Montparnasse“ aus dem Jahr 1993 erinnert. Das Sozialwohnprojekt hielt der Künstler im Format 4,70 auf 2,30 Meter in seiner monostrukturellen Intensität fest.

 

 

Andreas Gursky
5.12.2020 – 5.4.2021
Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstr. 10
D-04109 Leipzig
Tel.: +49-341-216990
Di 10 – 18 Uhr, Mi 12 – 20 Uhr, Do – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 7 €
www.mdbk.de

Text: Karolina Wrobel
Bild: Museum der bildenden Künste Leipzig
Erstveröffentlichung in kunst:art 76