Einer der zeitgenössischen deutschsprachigen Künstler, Gerhard Richter, hat entschieden, nun mit der Vollendung seines aktuellen Werkes mit 88 Lebensjahren, sich aus dem öffentlichen künstlerischen Schaffen zurückzuziehen. Ein anderer bleibt mit seinen 90 Jahren der Öffentlichkeit erhalten. Zu sehen ist diese Tatkraft im Museum Franz Gertsch in Burgdorf, in der Schweiz. Der Zeitgenosse, dem im Zuge des mit ihm und für ihn in Kooperation mit dem leidenschaftlichen Kunstsammler Willy Michel konzipierten eigenen Museums Raum geboten wird, ist der Namensgeber höchst persönlich: Franz Gertsch, anlässlich seines neunzigsten Geburtstages, mit seinen jüngsten Werken.
Diese sind 2019 bis Anfang 2020 entstanden und ergänzen ein von ihm bekanntes Sujet: Gräser. Auch diese neuesten Werke sind, wie so oft, inspiriert von seinem Blick aus dem Haus, wo Franz Gertsch viele seiner Motive in unmittelbarer und naturbelassener Inspiration vorfindet.
In seinen Arbeiten kombiniert der Künstler sein technisches Können mit seinen Erfahrungen aus seinen Lehrjahren, früheren Werken und seinen Visionen. Dabei spielen Farben und ihre Kreation eine große Rolle. Präsentiert werden in Burgdorf als zentrale Positionen die Gemälde Gräser VI und VII, beide von 2019, und Gräser VIII von 2019/20. Alle diese Gemälde sind in Eitempera auf ungrundierter Baumwolle gemalt. In der Wahl und Herstellung seiner Malmittel nutzt Gertsch ein jahrhundertealtes Werkzeug. Mit der farblichen Schwerpunktsetzung in jedem dieser drei Werke verleiht der Künstler seiner Vorstellung von farblicher Harmonie Ausdruck und vermittelt den Betrachtenden einmal mehr einen Eindruck seiner künstlerischen Intention. Dabei setzt Gertsch eine neue Herangehensweise ein. Er zeichnet seine Sujets vor und vervollständigt sie dann in verschiedenen farblichen Dimensionen. Sein erstes Werk aus diesem Zyklus erscheint pastellfarben in olivgrün, teils blau-grau mit strahlend hell leuchtenden vermeintlich farblich ausgelassenen Grashalmen. Das zweite Gemälde von 2019 präsentiert Gräser in hellblauer, grün schimmernder Optik auf einem intensiven roten Hintergrund. Gräser VIII weist eine farbtechnische Besonderheit auf. Durch die spezielle Mischung des Pigmentes Lapislazuli als Fra Angelico Blau wirkt dieses dritte Werk beinahe schemenhaft, wie durch Nebel aus einer anderen Sphäre stammend. Eines wohnt allen drei Gemälden, die den Mittelpunkt der Ausstellung bilden, inne: die realistische Darstellung, die im Besonderen Franz Gertsch zuzuordnen ist.
Diese drei jüngsten Werke werden im Kontext zu weiteren großformatigen Holzschnitten, die für Gertsch so besonders sind, und Gemälden und aus den Jahren 1987 bis 2020 arrangiert. Das Großformatige ist ein weiteres künstlerisches Stilmittel, das die Werke über die Jahre spezifiziert, bei den Gemälden wie auch den Holzschnitten. Wie Gertsch zuletzt in einem Interview mitteilte, bietet sich so, je nach Position des Betrachtens, durch die Nähe oder die Ferne, auf ein und dasselbe Werk einmal ein abstrakter und einmal ein realistischer Blick. Auch mit über neunzig Jahren sind wohl noch einige Kontroversen in seinen Werken zu vereinbaren möglich.
Franz Gertsch. Gräser
24.10.2020 – 28.2.2021
Museum Franz Gertsch
Platanenstr. 3
CH-3401 Burgdorf
Tel.: +41-34-4214020
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 16 CHF, erm. 12 CHF
www.museum-franzgertsch.ch
Text: Greta Sonnenschein
Bild: Museum Franz Gertsch
Erstveröffentlichung in kunst:art 76