Zwischen glatter Anonymität und der Herausforderung zur Selbstbefragung finden sich die Betrachtenden wieder, als sie ihrerseits beobachtet zu werden scheinen von einer menschlichen Figur auf einem Balkon. Ein auf den ersten Blick alltägliches Szenario des urbanen Raums, die weiße Färbung der Figur bar aller Individualität überführt die Begegnung jedoch in die Irritation. Ebenso scheint der Blick auf Verkehrsschilder im ersten Moment eine banale Alltagserfahrung, mit der die spiegelnde Oberfläche der Objekte jedoch bricht und die sie ihres anweisenden Charakters beraubt.
Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist eine der sozialen und soziologischen Fragen, die das skandinavische Künstlerduo Elmgreen & Dragset in seinem Schaffen thematisiert. Michael Elmgreen (* 1961 in Kopenhagen, Dänemark) und Ingar Dragset (* 1969 in Trondheim, Norwegen) nähern sich mit subtiler Ironie und eleganter Dekonstruktion dem Kultur- und Kunstbetrieb, der sie unmittelbar umgibt, ebenso wie weiterreichenden politischen Strukturen – und dafür wurden sie in diesem Jahr mit dem 14. Robert-Jacobsen-Preis der Stiftung Würth ausgezeichnet. „Das Entschiedene ihrer Positionierungen geht einher mit wacher Aufmerksamkeit für Gedanken und Gefühle wie auch für die mögliche, zuzeiten gar intendierte Verletzung von Gefühlen. Diese Auffassung von der Wirkung von Kunst ist bemerkenswert, weil sie mit den Fragen nach Menschheitswerten und Menschenwürde einhergeht“, führt die namhaft besetzte Jury aus.
Nach dem Tod des Bildhauers Robert Jacobsen im Jahr 1993 hat die Stiftung Würth in Kooperation mit dem Museum Würth den Robert-Jacobsen-Preis ausgelobt, der alle zwei Jahre an zeitgenössische bildende Künstler vergeben wird. Er erinnert an das Schaffen Robert Jacobsens, mit dem Prof. Reinhold Würth nach einem zufälligen Aufeinandertreffen in den 1970er-Jahren in langjähriger Freundschaft verbunden blieb. Preisträger*innen im vergangenen Jahrzehnt waren 2010 Alicja Kwade, 2012 Jeppe Hein, 2014/2015 Michael Sailstorfer, 2016/2017 Yngve Holen und 2018/2019 Eva Rothschild.
Das diesjährig gekürte Duo arbeitet seit mehr als 25 Jahren zusammen und seit 1997 in Berlin. Immer wieder befragen sie die Möglichkeiten von Kunst im öffentlichen und institutionellen Raum; zu ihren international bekanntesten Werken gehört die Installation „Prada Marfa“ (2005), eine detailgenau nachgebaute, jedoch immer geschlossene Prada-Boutique mitten in der Wüste von Texas. Sie schufen 2008 im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und bespielten 2009 mit „The Collectors“ den Nordischen Pavillon auf der Biennale in Venedig, bevor sie die 15. Istanbul Biennale kuratierten.
Im Rahmen der Ehrung präsentiert das Museum Würth 2 im Belvedere des Hauses und im Skulpturengarten um das Carmen Würth Forum in Künzelsau eine Werkschau der beiden Künstler – hier können die Besuchenden auch die „Statue of Liberty“ erleben, die in der Interpretation von Elmgreen & Dragset allerdings aus einem Geldautomaten in einem Stück der ehemaligen Berliner Mauer besteht; minimalistische Ästhetik vereint auch hier narrative Lebensnähe und kritischen Humor zum charakteristischen Stil des Duos.
Ninja Elisa Felske ist Kunsthistorikerin und promoviert derzeit über Pablo Picasso.
Elmgreen & Dragset
5.10.2021 – 6.2.2022
Museum Würth 2
Am Forumsplatz 1
D-74653 Künzelsau
Tel.: +49-7940-152200
Täglich 11 – 18 Uhr
Eintritt frei
www.kunst.wuerth.com
Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Museum Würth 2
Erstveröffentlichung in kunst:art 82