Alles begann 2017 mit einer Restitutionsforderung der Ölstudie “Wäschetrocknen – Die Bleiche“ von Max Liebermann, welche als Dauerleihgabe im Museum Kunst der Westküste (MKDW) weilt. Per Presseaufruf fahndete man nach der Bleibe des Gemäldes und eine aufmerksame Leserin, im Besitz einer Postkarte, auf welcher das Bild im Museum zu sehen war, gab den Hinweis, wo das Bild zu finden sei. So führte der Weg zum MKDW, erklärt Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen, Direktorin des Museums. Der derzeitige Eigentümer, welcher das Bild ohne Kenntnis der Vorgeschichte 2006 erwarb, wurde informiert und gab den Auftrag zur ausgiebigen Recherche zur Provenienz. Ein Team rund um die renommierten Expertinnen Isabel von Klitzing und Dr. Sibylle Groß begann mit der aufwendigen und mehrjährigen Provenienzrecherche. Ausgangspunkt dieser waren Indizien auf der Rückseite des Bildes wie ein Papieraufkleber mit Nummern, ein roter Zollstempel und eine kaum lesbare Unterschrift.
Die detektivische Arbeit führte zu weiteren Bildern, mit derselben Unterschrift – doch diesmal lesbar. Autorisierte datenschutzrechliche Aufhebungen erlaubten schlussendlich die lückenlose Rekonstruktion des Weges, welchen das Bild von Deutschland aus in die USA und wieder zurück genommen hatte. Die Herkunftsgeschichte ergab, dass das Werk entgegen der Vermutung keine Nazi-Raubkunst ist, sondern vor dem Zugriff der NS-Beschlagnahmung gerettet werden konnte und rechtmäßig im Museum zu sehen ist.
Die spannende und umfangreiche Recherche, welche anhand eines einzigen Bildes Zeit- wie Familiengeschichte enthüllte, Arbeitsweisen des Kunsthandels zu Tage brachte und globale Wege eines Werkes nachzeichnete, ist Anlass zur Sonderausstellung “Provenienzgeschichten – Max Liebermann im Fokus“. Die außergewöhnliche Ausstellung legt Provenienzforschung offen, fragt nach prominenten Vorbesitzern von Werken, zeichnet Reiserouten von Bildern nach und macht transparent, was gewöhnlich verborgen bleibt.
Besonders spannend ist “Die Bleiche“ inszeniert. Parallel zu dem Werk, auf welchem die identifizierte Handschrift gut lesbar ist, sind Vor- und Rückseite beider Werke zu betrachten, so dass der Zuschauer selbst einen Eindruck von Indizien der Recherche bekommt. In drei Kapiteln führt die Ausstellung den Besucher durch Episoden aus Provenienzgeschichten mit besonderem Fokus auf Werken von Liebermann. Sie fragt nach dem Umgang mit dem Nachlass Liebermanns, zeigt versteckte Spuren von Gemälden und was sich daran ablesen lässt; und sie sensibilisiert für das Thema Raubkunst.
Auch ein Nolde-Aquarell ist Teil der Schau, dessen jüdischer Vorbesitzer es nur durch die Weitergabe an seine Geschwister vor der Enteignung schützen konnte. Er selbst starb in einem KZ. Die Ausstellung verdeutlicht bewegend, welche Schicksale und Verfolgungstragödien bisweilen den Besitzern von Kunst widerfuhren. Komplexe Hintergründe zu Werken werden erfahrbar und spannend eröffnen sich dem Betrachter die Möglichkeiten der Forschungsarbeit, welche durch den digitalen Fortschritt der letzten fünfzehn Jahre enorm erweitert wurden, wie etwa durch die Zugänglichkeit von Archiven weltweit. Sie zeigt, nach Ulrike Wolff-Thomsen, welche Forschungsarbeit nötig ist, wie sensibel der Umgang mit Kunstwerken sein kann und dass das Museum mit größtmöglicher Transparenz dieser Aufgabe nachkommt.
Johanna Bayram ist als freie Journalistin tätig und arbeitet seit vielen Jahren für kunst:art.
Provenienzgeschichten: Max Liebermann im Fokus
3.7.2022 – 19.3.2023
Museum Kunst der Westküste
Hauptstr. 1
D-25938 Alkersum / Föhr
Tel.: +49-4681-747400
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 5 €
www.mkdw.de
Text: Johanna Bayram
Bild: Museum Kunst der Westküste
Erstveröffentlichung in kunst:art 86