Vom 1. Oktober 2016 bis zum 29. Januar 2017 zeigt die Kunsthalle zu Kiel mit Gott und die Welt. Vom sakralen zum autonomen Bild 1871-1918 eine Ausstellung, die sich sakralen Bildmotiven in der Kunst des Deutschen Kaiserreichs von 1871 bis 1918 widmet. Der Zeitgeist, geprägt von Bismarcks Kulturkampf gegen die katholische Kirche und einer immer schneller verlaufenden Industrialisierung, führt in jenen Jahren zu einer allgemeinen Säkularisierung. Nach wie vor
greifen Künstler auf christliche Motive zurück, gleichzeitig werden das Moderne und der Fortschritt euphorisch gefeiert. Eine wechselreiche Dynamik entsteht, die wesentlich zum Entstehen der klassischen Moderne in der Kunst beiträgt: Wie ändert sich das Verhältnis zwischen Kunst und Kirche, zwischen konfessionellem Glauben und individueller Spiritualität? Inwiefern beflügeln diese Dynamiken die Avantgardebewegungen? Zu sehen sind 90 Gemälde,
Skulpturen sowie graphische Werke aus zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen.
In einer Zeit großer gesellschaftlicher Spannungen und Widersprüche entwickeln sich neben dem Historismus rasant neue Ansätze: Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus, Kubismus, Orphismus, Futurismus, Abstrakte und Konkrete Kunst, Neue Sachlichkeit und Dada, ehe die progressiven Kräfte 1919 im Bauhaus gebündelt werden. Religiöse Kunst im überkommenen Sinne hat keinen leichten Stand, wird aber weiter akademisch gelehrt, von Gläubigen gewünscht und von den Kirchen als Auftraggeber gefordert. Zum Geburtshelfer der Moderne werden Fragen nach dem Unerklärlichen, Verborgenen, Unsichtbaren, wie sie auch im Okkultismus eine Rolle spielen und die sich mit dem Vordringen der Wissenschaften verstärken.
Die Künstler der Ausstellung zeigen in ihren Werken biblische Motive und Legenden von Heiligen. Sie verbinden jedoch in der jeweiligen Bildfindung innere Zerrissenheit, Einflüsse von zeitgenössischem Theater und Oper sowie persönliche spirituelle Erfahrungen. Die Künstler der Zeit orientieren sich an der Hochrenaissance, am Barock, an Bellini und Dürer, Rembrandt und Mantegna. Auch das Interesse am Manierismus erstarkt durch die Wiederentdeckung der Kunst El Grecos. Heilige und Propheten, das Wirken Luthers und das Leben Jesu werden rezipiert. Zugleich floriert der Handel mit massenhaft gedruckten Andachtsbildern für den privaten Markt, wie beispielsweise die Bergseemadonna von Josef Untersberger (Giovanni). Diese Madonna und der Titelholzschnitt des Bauhausmanifestes von Lyonel Feininger, eine alle Künste vereinigende Kathedrale, stehen für den hochgradig unterschiedlichen Umgang mit Religion und Spiritualität.
Der Bildhauer Ernst Barlach fertigt ein Relief mit dem Titel Auferstehung. Das Motiv scheint nach dem Vorbild einer Kreuzigung entstanden zu sein. Adolf Hölzels Gemälde Fuge über ein Auferstehungsthema ist wie ein abstraktes Glasfenster gestaltet, das in einer Dreieckskomposition nach oben strebt. Seine „Klänge“ erzeugen durch unterschiedlich pastos aufgetragene Farbschichten auch ein plastisch-räumliches Relief. Max Liebermann malte in mehreren Versionen das Ereignis in der Liebesnacht, in der Dalila Samson die Haare und damit seine legendäre Kraft raubt. Der Ursprung der femme fatale – wie Dalila, Judith, Potiphars Weib, Salome – liegt im Sündenfall begründet, also bei Eva: „Adam und Eva, von Gott modelliert, fungieren als Urbild aller Bildkünste. Der Sündenfall wird damit zum Sinnbild des schöpferischen Künstlertums. Eva, die sich nach der Frucht reckt, zum Symbol des ambitionierten Künstlers.“ (Anja Wenn, Max Klingers Grafikzyklus „Ein Leben“, Weimar 2006)
Der Kunsthistoriker Dr. Peter Thurmann, langjähriger Sammlungsleiter der Kunsthalle zu Kiel und Kurator zahlreicher Ausstellungen, verabschiedet sich mit Gott und die Welt. Vom sakralen zum autonomen Bild 1871-1918 in den Ruhestand.
Künstler: Ernst Barlach, Max Beckmann, Karl Caspar, Lovis Corinth, Josef Eberz, Conrad Felixmüller, Eduard Gebhardt, Adolf Hölzel, Karl Hofer, Max Klinger, Wilhelm Lehmbruck, Max Liebermann, Franz Marc, Wilhelm Morgner, Emil Nolde, Christian Rohlfs, Josef Scheurenberg, Karl Schmidt-Rottluff, Wilhelm Steinhausen, Hermann Stenner, Hans Thoma, Fritz von Uhde, Albert Weisgerber u.a.
Text: Kunsthalle zu Kiel | Foto: Kunsthalle zu Kiel
Externer Link: Kunsthalle zu Kiel
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