No Place like Home – Sammlung Goetz im Haus der Kunst

13.5.16 – 8.1.17 | Haus der Kunst München

Das Zuhause ist ein ambivalenter Ort – einerseits bietet es Schutz und Rückzugsmöglichkeit, anderseits kann es durch familiäre Erwartungshaltungen auch als erdrückend empfunden werden. Die Sammlung Goetz thematisiert in der Ausstellung „No Place like Home“ die große Bandbreite innerfamiliärer Verhältnisse.

Mit dem Begriff Zuhause verbindet man die Vorstellung von einem Ort, an dem man sich behütet und angenommen fühlt, wo Traditionen gelebt werden und sich die Identität entfalten kann. Dabei ist es oftmals auch der Platz, an dem Machtkämpfe ausgetragen werden und wo unausgesprochene Feindseligkeiten das Leben schwer machen. Die neunte Medienkunst-Ausstellung im ehemaligen Luftschutzkeller des Haus der Kunst präsentiert 14 Arbeiten aus der Sammlung Goetz, die sich mit dem häuslichen Umfeld und den damit verbundenen Emotionen beschäftigen. Sie legen soziale Konventionen offen, thematisieren eine Vielzahl von innerfamiliären Konflikten und lassen uns in die Abgründe menschlicher Beziehungen blicken.

In den Arbeiten von Sue de Beer, Gabriel Orozco und Anri Sala steht das Zuhause am ehesten für Behaglichkeit. Sue de Beer zeigt einen weiblichen Teenager in einem rosaroten Mädchenzimmer. Das Mädchen probiert unterschiedliche Posen vor einer Polaroid-Kamera aus. Dabei lädt sich sein langes Haar magnetisch auf und entfaltet für einen kurzen Moment magische Eigenbewegung. Gabriel Orozco erzählt von Einfachheit und Alltag: die Kamera richtet sich – wackelnd und als hätte sie ein neugieriger Amateur oder Tourist geführt – auf Hände, die in einem schlichten Strandrestaurant Mais waschen und Fladen backen. Ein Strandkrebs und ein Käfer, der in einer an der Wäscheleine hängenden Hose sitzt, werden hier zum Ereignis. Auch bei Anri Sala stehen Hände als pars pro toto für die weibliche Hauptfigur. Sie zupfen den Teig für Byrek in Form, geben die Füllung hinzu und rollen ihn zu einer Schnecke. Die Bewegungen sind routiniert, sie wurden während eines Lebens unendlich oft wiederholt und deuten in nichts über sich selbst hinaus. Nur der Kameraschwenk hin zum Fenster, durch das – gleichsam symbolisch – ein Flugzeug am Himmel zu sehen ist, lässt andere Möglichkeiten der Lebensführung ahnen, jedoch ohne anzudeuten, dass sie erstrebenswerter sind.

Von Erwartung, und damit auch von Enttäuschung hingegen erzählt etwa der Film „Eight“ von Hubbard/Birchler. Darin erlebt ein kleines Mädchen, wie starker Regen die Gäste zu seinem achten Geburtstag vertreibt und die sorgfältig geplante Party buchstäblich ins Wasser fällt. Zurück bleibt ein durchweichtes
Durcheinander von Luftschlangen und Essensresten. Zehn Jahre später haben die beiden Künstler einen neuen Film mit derselben Hauptfigur gedreht: In „Eighteen“ zeigen sie dasselbe Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein. Durch die Arbeit in einem Schnellrestaurant ist die junge Frau nun täglich mit Essensresten konfrontiert. Träumereien bilden den sehnsuchtsvollen Gegenentwurf zur Mühsal ihres Alltags und führen in den Schutz eines bürgerlichen Umfelds: die Wärme einer Geburtstagsfeier mit verzierter Torte, Gitarrenspiel und Ballett. Im Spannungsfeld zwischen behütetem Elternhaus und Selbständigkeit sucht die Hauptfigur nach ihrem Platz in der Gesellschaft.

Matthias Müller entführt den Betrachter in seinem Film „Alpsee“ mit emblematischen Bildern einer Kindheit in die 1960er-Jahre. Die Mutter bügelt, backt, wischt den Boden, und trägt dabei ein gestärktes blaues Kleid und Pumps. Alles in dieser heilen Welt ist streng ordentlich und vorzeigbar, bis hin zur Starre und Gefühlskälte. Das Kind kompensiert diesen Mangel an Wärme mit Fantasien von Überschwemmungen, durch die das Chaos Einzug hält. Die Einbettung von Szenen aus TV-Serien (Fury, Lassie) weitet das Geschehen von der individuellen zur kollektiven Erfahrung.

Auch in dem Film von Veronika Veit wird ein Idyll beherrschend. Begleitet von den Klängen einer Etüde für Klavier, hält die Mutter in einem Wohnzimmer der 1960er-Jahre Stränge von Wolle, und die Tochter wickelt den Faden auf zu einem ordentlichen Knäuel. Gestört wird diese Arbeit durch eine lebende Forelle, die auf dem Tisch unkontrollierbar hin und her springt. Nachdem die Mutter den Fisch mehrmals in die Porzellankanne gesteckt und vergeblich versucht hat, ihn aus dem Blickfeld zu entfernen, beißt sie ihm schließlich den Kopf ab, zerkaut ihn und schluckt ihn hinunter.
Sie verteidigt das Idyll buchstäblich mit Gewalt. Auf ihre Tochter wirkt das abstoßend.

Bei Patricia Pearson steigert sich die Mutter-Kind-Beziehung ins Destruktive. Wieder bildet Handarbeit den Ausgang des Geschehens. Die Mutter strickt, nutzt jedoch hierfür die Wolle des eng anliegenden roten Kleides, das ihre Tochter trägt. In Nahaufnahme verfolgt die Kamera, wie die Mutter das Kleid der Tochter durch Stricken aufribbelt. Masche für Masche entblößt sie die Heranwachsende und setzt sie der Scham des Nacktseins aus.

Der titelgebende Film „No Place like Home“ von Karen Yasinsky behandelt das Thema der sexuellen Gewalt mit animierten Puppen aus Stoff, Fimo und Draht. Die männliche ist wesentlich kleiner als die weibliche Puppe, die – als Sinnbild für den begehrenden Blick – nur aus roten Pumps, Beinen und Rock besteht. Als die Frau zu tanzen aufhört, ihre Pumps nicht länger aneinander klacken und sie
reglos am Strand liegt, nähert sich der Mann und stillt seine Lust an ihr. Die Kamera ist nun auf sein Gesicht gerichtet; er wirkt ungläubig staunend, als könne er sein Glück kaum fassen. Der Titel mag auf „Der Zauberer von Oz“ anspielen: Dort drückte das dreimalige Aneinanderschlagen der Fersen in roten Schuhen Dorothys Wunsch aus, nach Hause zu gehen.

Eine Dia-Projektion von Lorenz Straßl zeigt menschenleere Räume, in denen die Bewohner rätselhafte Spuren hinterlassen haben. Vieles ist zu Bruch gegangen; es tropft aus Rohren, so dass ganze Flächen unter Wasser stehen; anderes raucht und geht in Flammen auf. Die Einrichtungsgegenstände sind zum Teil wie eine Versuchsanordnung für eine Kettenrektion arrangiert – vermutlich ist die Zerstörung also geplant. Das Zuhause ist hier kein Ort mehr zum Wohnen, sondern ein Spiegel von Persönlichkeitsstrukturen.

 

Text: Haus der Kunst München | Foto: Haus der Kunst München
Externer Link: Haus der Kunst München

 

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