Drei Jahre lang wurde gebaut in Seebüll, dem Wohn- und Arbeitshaus von Emil Nolde und seiner Frau Ada hoch oben an der dänischen Grenze. Für 2023 aber kann die Jahresausstellung wieder am gewohnten Platz stattfinden: „Zurück Zuhause“! Neue Eindrücke, kaum hat man den Eingangsbereich hinter sich gelassen: Abseits von der (denkmalsgerechten und also unsichtbaren) technischen Erneuerung des gesamten Komplexes wurde den historischen Räumen des Künstlerpaares von den Wohnräumen mit ihren Originalmöbeln bis hin zum Bildersaal und seiner doppelreihigen Hängung behutsam wieder zum einstigen Glanz verholfen. Die gleichen Primärfarben, die der Maler so liebte, prangen auch auf den Wänden. Strahlendstes Sonnengelb oder ein gesättigtes Blau verdeutlichen die Nähe zur Farblehre der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Überdies verrät das von Nolde selbst maßgeblich mitgestaltete Anwesen schon in seinen klaren kubischen Blöcken die Prägung durch das Neue Bauen, das, vom Dessauer Bauhaus ausgehend, den baulichen Diskurs der 1920er-, frühen 30er-Jahre bestimmte. Person, Werk und Haus (und nicht zu vergessen, der Garten!) sind vom selben Herzschlag durchpulst, ein integrales Gesamtkunstwerk.
Aber für die meisten Besucher werden sicher die Bilder im Mittelpunkt des Interesses stehen: Unter dem Titel „Welt und Heimat“ möchte die Jahresaussstellung neue Perspektiven auf das Werk des Expressionisten eröffnen. Für Nolde war wohl kein anderer Wohnort denkbar als genau hier, im windzerzausten deutsch-dänischen Grenzgebiet, im „Wunderland von Meer zu Meer“ – und doch hat er viele und ausgedehnte Reisen gemacht, deren weiteste (und berühmteste) 1913/14 diejenige in die Südsee war. Nun ist bekanntlich genau diese Reise heute umstritten, war der Maler doch als sozusagen „embedded artist“ Teil einer fraglos kolonialistischen Unternehmung. Dennoch und erst recht gilt es den offenen Blick aufs Werk zu richten: Lassen die gezeigten Porträts tatsächlich grundsätzliche Unterschiede im Menschenbild erkennen, je nachdem, ob der Abgebildete aus Europa, Japan oder Papua-Neuguinea stammt? Für Nolde (und seine ihm eng verbundene Frau, die ihn auf seinen Reisen begleitete) waren die Ferne und die Nähe, Welt und Heimat sich gegenseitig bedingende Pole. Vier Selbstporträts, eines davon als Doppelbildnis mit Ada, sind eindrucksvoll: Bei aller Verbundenheit zur Heimat – „Die Heimat bleibt der Urboden“, so der Künstler – kennzeichnet ihn sein Leben lang Neugier und Offenheit für das Andere. Neben den Bildnissen und Landschaften verdienen die üppig ausgebreiteten Blumensujets Beachtung wie ebenso auch die religiösen Motive. Bei der Auswahl der rund 130 Exponate, darunter etwa fünfzig Gemälde, konnte das Team um Direktor Christian Ring unter anderem auch zurückgreifen auf eine großzügige Schenkung, die den Stiftungsbesitz seit Kurzem bereichert: die auf die Künstlergruppe Brücke konzentrierte Sammlung Hermann Gerlinger nämlich, die das Umfeld des jungen Nolde beleuchtet.
Dieter Begemann ist Künstler und Kunstwissenschaftler, der Architektur, Design, Autos und Italien liebt!
Zurück Zuhause. Emil Nolde. Welt und Heimat
1.3. – 31.10.2023
Nolde Stiftung Seebüll
Seebüll 31
D-25927 Neukirchen
Tel.: +49-4664-983930
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 8 €
www.nolde-stiftung.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Nolde Stiftung Seebüll
Erstveröffentlichung in kunst:art 90