
Im Feuersturm des Jahrhunderts
Was ist das bestimmende Maß für einen Künstler wie Walter Jacob (1893–1964)? Die Brüche in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sie lassen sich auch in Walter Jacobs Biografie und seinen Werken
wiederfinden. Er durchschritt diese Jahrzehnte mit all seinen Widersprüchen – an der künstlerischen
Prämisse festhaltend: “Farbe, Kraft, Einfachheit – das ist alles”. Ihm widmet das Lindenau-Museum
Altenburg im Prinzenpalais des Residenzschlosses Altenburg eine umfassende Ausstellung, die mit rund
fünfzig Gemälden und Grafiken die ästhetische Entwicklung und Intensität des Œuvres präsentiert. Unter dem Titel “Feuer und Farbe” wurden nicht nur selten gezeigte Werke aus Privatsammlungen Teil der Ausstellung: Die enge Zusammenarbeit mit der Familie des Künstlers erlaubte es, Werke aus dem
Nachlass behutsam in die Ausstellung zu integrieren und somit auch einen Bezug zu den
Lebensstationen des in Altenburg geborenen Künstlers herzustellen.
Der wusste schon früh, dass er den Lebensweg als Künstler beschreiten wollte. Kaum 17 Jahre alt
schickte er seine nachts gefertigten Zeichnungen während einer Lehre dem ebenfalls aus Altenburg
stammenden Künstler Ernst Müller-Gräfe nach Dresden. Müller-Gräfe, der auch für das Museum
Lindenau später ein prägendes Werk schaffen sollte, nahm Jacob unter seine Fittiche. Diese
Mentorschaft festigte dessen Selbstgewissheit: Das zeigt bereits das farblich ausdrucksstarke und
dynamisch gefertigte “Selbstbildnis” aus dem Jahr 1913. Nach der Zäsur des Ersten Weltkriegs und
seinen Schrecken erlebte der Künstler in den 1920er-Jahren ein Aufblühen seiner Möglichkeiten. Jacob
erfuhr Anerkennung in Künstlerkreisen, ging eine fast lebenslange Freundschaft zu Oskar Kokoschka ein
und hatte Otto Dix zum Ateliernachbarn. Die Kraft der Farben verbindet der gereifte Künstler nun mit
kubistischen Elementen – auch hier entsteht ein Bild vom “Selbst”, aber auch Landschaftsbilder von
intensiver Strahlkraft.
Eine Malerei, losgelöst “von allem Stofflichen und Formalen”, schwebte ihm vor. Die Pinselstriche
stürmen seine Bilder. Den Aufenthalt in der Idylle des Klosters Eberbach, das in ihm eine
Naturverbundenheit aufdeckt, die er am Meer (“Segelboote”, 1925) und in den Bergen (“Berglandschaft”,
1922) künstlerisch weiter vertieft, ermöglicht ihm ein Förderer. Ein Ankommen in der Berliner Kunstszene
blieb ihm jedoch verwehrt. Das scheint sich im “Selbstbildnis” von 1926 auszudrücken, das Gegenüber
mit distanzierter Verachtung musternd.
Während der Zeit der Nationalsozialisten, in der seine expressiv-intensiven Werke als “Spiegelbild des
Verfalls der Kunst” präsentiert wurden, beginnt eine Zwiespaltung. Statt stürmischer Dynamik und
intensiver Farbigkeit beschäftigen Walter Jacob nun Aquarelle und Landschaftsbilder, welche die
vorangegangene Expressivität auszuklammern scheinen. Er wird Parteimitglied und tritt der SA bei,
schafft Porträts von SA-Männern und heldenverklärende Wandbemalungen. Nach dem Krieg wird er als
Mitläufer eingestuft. Die Reflexion beginnt nach dem Krieg. Erneut ist es die Landschaft, die ihn
künstlerisch trägt: Die expressive Malweise überträgt er nun in abstrakte Formen, die erneut an Intensität
gewinnen und in denen sich auch die Dämonen der Vergangenheit spiegeln. Das letzte Selbstbildnis
entsteht 1962, zwei Jahre vor dem Tod des Künstlers: eine schemenhafte, weiße Figur vor strahlend
rotem Hintergrund sitzend.
Karolina Wróbel lebt und arbeitet in Berlin.
Feuer und Farbe – Gemälde und Grafiken von Walter Jacob
9.6. – 25.8.2024
Residenzschlosses Altenburg
Prinzenpalais
Schloss 16
D-04600 Altenburg
Tel.: +49-3447-8955430
Di – So 11 – 17 Uhr
Eintritt: 4 €, erm. 3 €
www.lindenau-museum.de
Text: Karolina Wróbel
Bild: Residenzschlosses Altenburg
Erstveröffentlichung in kunst:art 98