Die Ausstellung Body & Soul von Andreu Ginestet im Sächsischen Wartesaal des Leipziger Hauptbahnhofs verbindet auf faszinierende Weise klassische Kunsttraditionen mit einer zeitgenössischen Tiefe. Ginestet, ein katalanischer Künstler aus Barcelona, zeigt 32 Fotos, 8 Postdigitale Malereien und 9 Skulpturen, die sich mit der Dualität von Körper und Seele auseinandersetzen. Besonders bemerkenswert sind die Bezüge, die Ginestet zu den alten Meistern, insbesondere Tizian, sowie zu modernen Fotografen wie Helmut Newton herstellt. Die Kunstkritikerin Claudia Moscovici lobte die Verbindung aus Vergangenheit und Gegenwart in der Arbeit von Ginestet, da sie die Synthese von Emotion, Tiefe und Zeitlosigkeit betont.
Ginestets Arbeiten sind deutlich von der Ästhetik der Renaissance inspiriert. Wie bei Tizian fungiert der menschliche Körper in seinen Fotografien nicht nur als bloße physische Präsenz, sondern als Träger tiefer symbolischer und seelischer Bedeutung. Tizians Werke, wie „Amor Sacro e Amor Profano“, thematisieren die komplexe Beziehung zwischen Körper und Seele, und Ginestet greift dieses Motiv mit einer modernen Sensibilität auf. Seine Fotografien verlangen nach einer langsamen, reflektierten Betrachtung, die es dem Betrachter ermöglicht, die verborgenen Schichten der Werke zu entdecken. Und seine Skulpturen gestatten keine schnelle ästhetische Befriedigung, sondern fordern eine innere Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz.
Während die Einflüsse der Renaissance unverkennbar sind, zieht Ginestet auch eine deutliche Linie zu Helmut Newton, einem der prägenden Fotografen des 20. Jahrhunderts. Newtons Inszenierungen des weiblichen Körpers sind bekannt für ihre Provokation und ihre unmittelbare Wirkung. Ginestet jedoch vermeidet Newtons kalkulierte Direktheit. Provozierend verwendet er ähnliche Posen und Blicke und entzieht seinen Körperdarstellungen die direkte Zugänglichkeit. Wo Newton einen voyeuristischen Blick auf den Körper wirft, lädt Ginestet dazu ein, den Körper als Ausdruck von Seele und innerem Frieden zu sehen – ein bedeutender Unterschied.
Claudia Moscovici spricht von einer „postromantischen“ Ästhetik, in der Kunst nicht nur die äußere Schönheit feiert, sondern auch eine emotionale und intellektuelle Tiefe besitzt. Ginestet folgt diesem Ansatz, indem er klassische und moderne Einflüsse verwebt. Vermeintlich antike Körperhaltungen enthalten moderne Abstraktionen, und bilden Spiegelungen in der Zeit. Die Postdigitalen Malereien von Ginestet und Oksana Tytenko verstärken in Body & Soul ein Spannungsfeld, das den Betrachter herausfordert und ihn auf eine Reise zwischen Kunstgeschichte und zeitgenössischer Reflexion mitnimmt.
Die Ausstellung im Leipziger Hauptbahnhof bietet eine schöne Gelegenheit, Kunst in einem nicht-musealen Raum zu erleben. Der historische Sächsische Wartesaal, mit seiner monumentalen Architektur, verstärkt die meditative Wirkung der Werke. Ginestet schafft es, Kunst und Raum in einen Dialog zu bringen, der zugleich ästhetisch und philosophisch tiefgründig ist. Für Kunstkenner bietet Body & Soul eine spannende Auseinandersetzung mit der Frage, wie Körper und Seele – und damit auch Kunst – in verschiedenen Epochen interpretiert wurden.
Kurator: Marcel Noack
Regie: Thomas Oehme, ECE
Bilder: 1,3,4, 5 Andreu Ginestet, 2 Daniel Reiche
Homepage des Künstlers: www.ginestet.art
Kontakt zum Künstler: info@ginestet.art