Yael Bartana in der Villa Stuck

Bernar Venet, 12 Unacute Angles, 2021

Wenn die Weltuntergangsuhr laut tickt

Können Frauen besser die Welt regieren als Männer? Gäbe es weniger Kriege mit Frauen an der Macht? Was würde sich ändern, wenn das internationale Machtgefüge feminin und nicht maskulin besetzt wäre? Regieren und delegieren Frauen anders als Männer? Welcher Vision von – vor allem politischer – Zukunft wollen wir folgen?

Allen diesen gesellschaftspolitischen wie geschlechtsspezifischen Fragestellungen geht die 1970 in Afula geborenen israelische Multimedia-Künstlerin Yael Bartana nun in ihrem performativen Stück „Two Minutes To Midnight“ nach. Dabei handelt es sich um eine monumentale Videoinstallation, der ein vierjähriger Schaffens- und Findungsprozess vorausgeht. Basierend auf Aufnahmen ihrer hybrid-experimentellen Live-Performance „What if Women Ruled the World?“ in Aarhus und Berlin (2017 und 2018) und der Performance „Bury Our Weapons, Not Our Bodies!“ (Philadelphia 2018) ist die aktuelle Arbeit ein synthetischer Hybrid.

„Two Minutes To Midnight“ – im Übrigen auch ein Song der Heavy Metal Band Iron Maiden aus dem Jahr 1984 – ist inhaltlich die Vision einer Fiktion: Eine rein weiblich besetzte Regierung soll in einem erdachten Land eine nukleare Gefahr durch einen feindlichen Autokraten abwenden. In Analogie und doch diametral zu Stanley Kubricks klassischer Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ kreiert Yael Bartana anstatt eines männlich aufgeladenen Kriegsraums einen weiblichen Friedensraum. In einem fensterlosen Zimmer an einem runden Tisch – an schier unzählige Filmszenen erinnernd – sitzen fünf Schauspielerinnen, welche die Präsidentin samt ihrer Ministerinnen symbolisieren. Zum weiteren Gremium gehören Expertinnen aus den Bereichen Politik, Recht, Psychologie und Verteidigung, die tatsächlich auch im realen Leben eben jene Wissenschaftlerinnen, Beraterinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen sind.

Mit steigendem Spannungsbogen werden die Gespräche brisanter und komplexer –immerhin zeigt die Weltuntergangsuhr kurz vor Mitternacht. Können und werden die Frauen die Katastrophe verhindern? In dem 47-minütigen Werk experimentiert die Künstlerin, die 2011 und 2024 mit aufsehenerregenden Beiträgen an der Biennale in Venedig teilnahm, mit Bildsprache und Symbolik von Macht und Propaganda, leitet die tradierten Geschlechterrollen und Machtgefüge um und erzeugt so alternative Gegenwarts- und Zukunftsszenarien.

Genau genommen findet die von Dr. Helena Pereña kuratierte Präsentation nicht in der Villa Stuck statt, sondern in den Interimsräumlichkeiten des Museums in der Goethestraße 54, in welcher sich die einstige Zwangsunterkunft Pension Patria für jüdische Personen auf dem Weg zur Deportation während des NS-Regimes befand.

Selbst hat sich Yael Bartana schon oft als Pre-Enactor bezeichnet, eine beobachtende Person, die auf Historisches eingeht, um Zukunft zu gestalten. Die Gegenwärtigkeit der Geschichte, welche die Künstlerin in all ihren Arbeiten stets versucht zu finden, zu skalpieren und aufzudecken, könnte an einem Ort wie diesem kaum spürbarer sein.

Dr. Denise Susnja lebt und arbeitet im Rheinland.

Yael Bartana. Two Minutes to Midnight
5.9. – 20.10.2024
Villa Stuck
VS Interimsquartier
Goethestr. 54
D-80336 München
Di – So 12 – 20 Uhr
Eintritt frei
www.villastuck.de

Text: Dr. Denise Susnja
Bild: Villa Stuck
Erstveröffentlichung in kunst:art 99