Italienische Avantgarde in Wuppertal
„The Wound Is The Place Where Light Enters You“ schrieb einst der persische Dichter Rumi. Wunde und Licht spielen auch im Werk Lucio Fontanas eine zentrale Rolle, betrachtet man seine ikonisch gewordenen Schnittbilder wie „Concetto spaziale. Attesa“ (Erwartung). Selten sah eine Leinwand so verletzlich aus wie durch den ihr zugefügten Schnitt. Als würde ihr erst durch die Verletzung Leben eingehaucht. Ein Schnitt, welcher auch den Bruch mit der traditionellen Verwendungsweise des Kunstträgers markiert. Doch weder respektlos noch zerstörend gemeint soll der Betrachter nicht figurativ Vorgegebenes, sondern Raum für eigene Themen erhalten. “Wichtig ist nur die Idee; ein einziger Schnitt genügt“, so Fontana. Er ritzte und stach in Leinwand und Metalle, schuf Werke wie die großflächige Kupferarbeit „Concetto spaziale, New York 10“, welche den Betrachter brachial und anmutend auf paradoxe Art in ihren Bann ziehen.
Fasziniert von Wissenschaft und Technik, vor allem von Raum, Zeit und dem Universum, bearbeitete Fontana seine Bildträger und trug die Ehrfurcht vor der Weite des Universums in seine Kunst. Perforationen, zu Clustern und Spiralen formiert, erinnern an Galaxien, sprengen Formen und Normen und weisen als Denkfigur über sich selbst hinaus. So zeugen die Löcher vom Akt eines Bildhauers, welcher den klassisch malerischen Untergrund der Leinwand in ein plastisch wirkendes Objekt verwandelt.
In großflächigem Ausstellungsarrangement stellt das Von der Heydt-Museum nun das facettenreiche Œuvre des Künstlers vor. Dem Anspruch der Ausstellung, Fontanas Werk anhand exemplarischer Arbeiten möglichst umfassend erlebbar zu machen, wird die Schau in jedem Fall gerecht. Die erhebliche Bandbreite der Werkvielfalt lässt sie fast kurzweilig wirken, so abwechslungsreich sind die rund hundert ausgestellten Werke.
Kaum ein Künstler zeigt solch eine Bandbreite an Material und Gattung wie Fontana. Er schien in jedem Genre zu Hause, von Zeichnung und Keramik über Malerei, Bildhauerei bis zu Skulpturen aus Terrakotta und Eisendraht. Fontanas Schaffen prägte nicht nur die zeitgenössische Kunstszene, sondern er war Wegbereiter und Wegbegleiter gleichermaßen. Sein Einfluss auf jüngere Künstlergenerationen ist ebenfalls als Teil der Schau zu sehen, etwa wie Yves Klein, Piero Manzoni und die ZERO-Künstler Ideen und Zukunftsvisionen Fontanas aufnahmen und verarbeiteten. Ein weiteres Kapitel der Ausstellung stellt die „Kreative Kreuzbestäubung“ mit dem ihm freundschaftlich verbundenen Fotografen Lothar Wolleh dar, hier tritt Fontana hinter seinem Werk hervor und wird selbst zum Sujet. Ein echtes Erlebnis ist auch die Installation „Ambiente spaziale con neon“, die als Vorläufer des Environments einen pinken Raum erschafft, welcher innerhalb der Schau auch als Selfie Spot genutzt werden kann. Zu sehen ist das umfangreiche und beeindruckende Werk in Wuppertal von Oktober bis Januar.
Johanna Bayram lebt und arbeitet in Wuppertal.
Lucio Fontana. Erwartung
5.10.2024 – 12.1.2025
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
D-42103 Wuppertal
Tel.: +49-202-5636231
Di – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 20 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 10 €
www.von-der-heydt-museum.de
Text: Johanna Bayram
Bild: Von der Heydt-Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 100