Aller-Retour. Schweizer Fotografie im Wechselspiel zwischen Fernweh und Heimat

20.5. – 13.8.17 | Kunstmuseum Thun

Welt von sechs Schweizer Fotografinnen und Fotografen. Aus der Romandie und der Deutschschweiz kommend, bewegen sich die gezeigten Positionen zwischen der Thematik von Weggehen und Heimkehren. Die Fotografinnen und Fotografen sammeln und vermit-teln Eindrücke aus unterschiedlichen Lebenswelten, vom Berner Oberland der 1950er Jahre bis ins heutige Amazonasgebiet. Dabei halten sie zwischenmenschliche Begeg-nungen in erzählerischen Momenten fest, sei es in fernen Ländern oder in der scheinbar vertrauten Heimat. Mit Reto Camenisch, David Favrod, Martin Glaus, Yann Gross, Da-niela Keiser, Ella Maillart.
Das Kunstmuseum Thun widmet seine Sommerausstellung sechs Schweizer Fotografin-nen und Fotografen, die sich mit der Thematik des Weggehens und Heimkehrens be-schäftigen. Die Arbeiten von Reto Camenisch, David Favrod, Martin Glaus, Yann Gross, Daniela Keiser und Ella Maillart zeigen in ihren individuellen Erzählformen Blicke auf die Welt, vom schweizerischen Alltag bis zu Impressionen aus fremden Ländern. Gemeinsam ist den sechs Positionen, zwischen denen eine Zeitspanne von 80 Jahren liegt, die Neu-gier und Aufgeschlossenheit. Diese treiben die Fotografinnen und Fotografen in die Fer-ne, wo sie auch für längere Zeit leben. Doch auch der Blick in die Heimat ist prägend, hier gehen sie auf die Spurensuche nach Alltäglichem und Fremdem im Eigenen. Das Reper-toire der ausgestellten Werke erstreckt sich von Landschaftsaufnahmen über Porträts von Künstlern, aber auch unbekannten Zeitgenossen bis hin zu Alltagszenen.

Indem in der Ausstellung verschiedene Gattungen nebeneinander gestellt werden – Künstlerisches, Presse- und Reisefotografie – entsteht eine neue Gesellschaft der Bilder. Diese sprechen auf unterschiedliche Weise von den gleichen Dingen oder zeigen auf ähnliche Weise Ansichten, die unterschiedlich sind; sie stellen dar und verbergen, sie ergänzen sich und geraten in Widerspruch. Eine nicht nur aktuelle, sondern auch immer brisanter werdende Frage, wenn man an die tägliche Bilderflut denkt, die aus privaten Smartphones in die weite Welt des Netzes geschickt und öffentlich wird. Die gezeigten Bilder entführen die Besucher insgesamt in die Vergangenheit und die Gegenwart und bescheren ihnen ein erweitertes Weltbewusstsein. Ohne selbst dort zu sein oder gewe-sen zu sein, wird man mit unbekannten Welten konfrontiert. Fotografieren, das zeigen die Werke, ist aber mehr als die endlose Jagd nach einer Bilderwelt, die immer abrufbar ist. Es hat auch mit räumlichen Distanzen zu tun und mit der ermöglichten anderen Betrachtungsweise – mit Einrahmung der Welt bei gleichzeitiger Horizonterweiterung, mit Grenzaufhebung sowie mit der Überführung des Fremden ins Eigene. Aber auch mit dem Transfer komplexer Welten in reduzierte Bilderübersichten. Es bleiben jedoch immer nur Ausschnitte der Welt, die uns die Fotografin, der Fotograf vermittelt und die eng auf de-ren Auswahl und damit deren Wirklichkeitsbeeinflussung beruhen.

Der Thuner Martin Glaus (1927-2006), dessen Nachlass sich heute in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur befindet, konzentrierte sich in seinen Arbeiten auf Bilder von Men-schen, vor allem auf Künstlerporträts und Aufnahmen von Kindern. Der Sohn des ehema-ligen Direktors des Kunstmuseums Thun, Alfred Glaus, näherte sich ihnen mit seiner Ka-mera stets auf Augenhöhe, um so die Welt aus der Sicht der Kinder sichtbar und begreif-bar zu machen. Auch als Pressefotograf liebte er das Experiment und seine Genrebilder zeigen das Leben in den Grossstädten wie Paris oder Madrid, aber auch das Dorfleben in Berner Oberland gehörte zu seinem Repertoire. Seinen Auftraggeber bei den Magazinen und Zeitungen lieferte er oft nicht nur das Bildmaterial, sondern auch die Texte zu den Reportagen. Die Schriftstellerin und Fotografin Ella Maillart (1903-1997) bereiste schon als junge Frau zwischen 1930 und 1932 den Kaukasus und die Sowjetrepubliken Zentrala-siens und hielt in eindrücklichen Bildern und Reiseberichten ihre Begegnungen mit der Bevölkerung fest. Ihre sensiblen Landschaftsbilder und Aufnahmen der Bevölkerung zeu-gen von ihrem ehrlichen Interesse an ihrem Gegenüber. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz im Jahr 1945 liess sich Maillart in Genf und Chandolin nieder und dokumentierte eindrücklich das tägliche Leben in ihrer Umgebung in der Westschweiz.
Daniela Keisers (geb. 1963) Foto-OEuvre ist ein Konglomerat von Erzählungen aus den unterschiedlichsten Welten und entsteht unter Einbezug verschiedenster Techniken. Nebst dem atmosphärischen Blick auf ihre Umwelt im In- und Ausland sind ihr in ihren Arbeiten Dynamik und das Prozesshafte wichtig. So entstehen oft interaktive Arbeiten mit Menschen in Form von Kombinationen von Fotografien mit Texten oder Audioauf-nahmen wie u.a. bei der mehrteiligen Kairo-Installation (Hotel Pyramid, 2016), welche fürs Kunstmuseum Thun konzipiert wird. Reto Camenisch (geb. 1958) kann man als Wanderer zwischen den Welten bezeichnen. Seine analogen, schwarz-weissen Reisefotografien aus dem Ausland zeugen ebenso wie die Bergaufnahmen aus dem Berner Oberland von seinen tagelangen Wanderungen in den Steppen Nepals oder den Geröllhalden am Grim-selpass. Der Fotograf als passionierter «Grenzgänger» kann sich über Jahre einer einzel-nen Thematik zuwenden und darin völlig eintauchen. Auch seine Porträts und Aufnahmen von Menschen strahlen Ruhe aus und vermitteln den seltsam entrückten Augenblick zwi-schen Porträtierten und dem Porträtierenden. Der 1982 in Japan geborene Fotograf David Favrod spiegelt in seinen Bildern auf sensible Art den Zwiespalt seiner beiden Identitäten als Schweizer und Japaner. Indem er seinen Bildern, die in der Schweiz entstanden sind, japanische Elemente beifügt, macht er das Spannungsfeld zwischen seinen beiden Hei-matländern sichtbar. Favrod überlässt in seinen Arbeiten nichts dem Zufall. Durch präzise Inszenierungen und sorgfältige Nachbearbeitungen schafft er intensive und aussagekräf-tige Bilder. Auch Yann Gross (geb. 1981) interessiert sich für das Fremde in der Schweiz und findet in seiner Arbeit Horizonville (2005–2008) den Wilden Westen in der Heimat. Mit einem Moped fuhr er durch das Rhonetal, um den Lebensraum einer Menschengruppe, die Affinitäten für den Wilden Westen pflegt, zu erkunden. Seine Aufnahmen zeigen Menschen, die sich auf die unterschiedlichste Art und Weise auf den amerikanischen Wilden Westen beziehen und sich damit eine neue kulturelle Identität schaffen. Sie alle leben ihren eigenen amerikanischen Traum, den sie in die schweizerische Realität umzu-setzen versuchen. Der Künstler, der am Amazonas in Peru lebt, entwickelt dort aber auch Projekte mit indigenen Jugendlichen und macht so in seiner Werkserie Jungle Book auf die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aufmerksam. Dabei ist ihm der narrative Aspekt wichtig. Er will Fotografien zeigen, welche die Atmosphäre eines Ortes wiedergeben.

 

Text: Kunstmuseum Thun | Foto: Kunstmuseum Thun
Externer Link: Kunstmuseum Thun

 

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