Artland Heartland | Zu viel oder zu wenig Globalisierung? Und was ist eigentlich mit der Kunst von Kara Walker in Deutschland?

Artland Heartland | Hauke Ohls

Kara Walker: A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby, an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant, 2014. Polystyrene foam, sugar Approx. 35.5 x 26 x 75.5 feet (10.8 x 7.9 x 23 m). A project of Creative Time, installation view: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, NY, 2014. Photo: Jason Wyche. Artwork © 2014 Kara Walker.

 

Die Frage nach der Globalisierung stellt sich für den Philosophen Bruno Latour gar nicht: Aber wie kann das Thema unserer Zeit von dem Denker unserer Zeit als nichtig abgetan werden? Und lassen sich seine Aussagen zur Globalisierung auch in der zeitgenössischen Kunst wiederfinden?

Laut Latour gibt keine Globalisierung im landläufigen Sinne, da die Welt zu komplex ist. Zu viele Entitäten (Akteure und Aktanten) stehen miteinander in Relation, und diese auch noch in zu vielen Existenzweisen. Das „neue Klimaregime“, also die globale Erwärmung und ihre mannigfaltigen Auswirkungen, machen dies für Latour unübersehbar deutlich. Er bezieht sich auf die geologische Epoche des „Anthropozäns“, die seit kurzem angebrochen sein soll, und die den Menschen als größten Einflussfaktor für die aktuelle Erdentwicklung sieht. Nachdem die Menschheit über Generationen auf die Erde eingewirkt hat, ist es zu irreversiblen Schäden gekommen und nun zeigen sich an vielen Orten „Gegenreaktionen“. Latour nennt sie „Rückkopplungen“ und die Erde, von der sie ausgehen, „Gaia“, womit er deutlich machen will, dass in neuen Kategorien gedacht werden muss. Diese „Rückkopplungen“ sind zu undurchsichtig und zu umfassend, um sie mit herkömmlichen Begriffen zu beschreiben. Eine globale Herangehensweise ist demnach höchstens das Interpretieren eines lokalen Problems von einer bestimmten Gruppe von Personen. Aber die Welt selbst, in der alles Inbegriffen ist, zeigt sich dadurch niemals: So „stellt das Globale nie mehr dar als globalen Unsinn“ (Bruno Latour, Kampf um Gaia, S. 224).

Trotz der vielen Extrem-Wetterphänomene in letzter Zeit und der aktuellen Ausstellung Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft in der Bundeskunsthalle in Bonn, beziehen sich diese Überlegungen zur Globalisierung nicht auf den Klimawandel. (In den nächsten Jahren sind zu diesem Thema viele gewichtige Diskurse und Kunstwerke zu erwarten.) Latour meint die Absage an das „Globale“ genereller. Besonders, da er vehement gegen die Unterscheidung von Natur/Kultur argumentiert, würde man ihn bei der alleinigen Konzentration auf Naturphänomene gänzlich missverstehen.

Kara Walker: A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby, an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant, 2014 Polystyrene foam, sugar Approx. 35.5 x 26 x 75.5 feet (10.8 x 7.9 x 23 m). A project of Creative Time, installation view: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, NY, 2014. Photo: Jason Wyche. Artwork © 2014 Kara Walker.
Kara Walker: A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby, an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant, 2014. Polystyrene foam, sugar. Approx. 35.5 x 26 x 75.5 feet (10.8 x 7.9 x 23 m). A project of Creative Time, installation view: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, NY, 2014. Photo: Jason Wyche. Artwork © 2014 Kara Walker.

Vielmehr soll hier – mittels der Ansätze Latours – die Frage gestellt werden nach der afro-amerikanischen Künstlerin Kara Walker. Die 1959 in Stockton, Kalifornien, geborene und in New York residierende Walker ist eine der wichtigsten Künstlerinnen in den USA. Vom Kunstkritiker Jerry Saltz im New York Magazine wiederkehrend als prophetisch hofiert, ist eines ihrer Scherenschnitt-Wandpanoramen wie selbstverständlich in die feste Sammlung des Museum of Modern Art in New York integriert. Auf der gerade frisch erschienenen Liste ArtReview Power 100 2017, die jährlich die einflussreichsten Personen in der Kunstwelt benennt, ist sie auf Platz 56 vertreten und damit vor omnipräsenten Schwergewichten wie Klaus Biesenbach oder Olafur Eliasson. Walkers monumentale Skulptur A Sublety von 2014 gilt bei mehreren Experten der Kunstwelt als „most iconic artwork of the 21st century“. Wie sinnvoll solche Zuschreibungen auch sein mögen, zumindest hatte ihre 35 Tonnen schwere und ca. 11 x 23 Meter messende Skulptur aus quadratischen Zuckerwürfeln, die in einer leerstehenden Zuckerfabrik in Brooklyn präsentiert wurde, eine enorme Resonanz. Hier wurde der Finger ganz tief in vorhandene Wunden gelegt: Es war eine als Sphinx gestaltete afroamerikanische Frau, die nackt und mit üppigen Rundungen in das Gerüst der alten Fabrik gezwängt wurde. Rassistisch motivierte Konflikte in der amerikanischen Gesellschaft, die Ausbeutung von Arbeitskraft durch die Entmenschlichung ganzer Gruppen bei gleichzeitiger exotistischer Übersexualisierung; all dies scheint die Skulptur durch ihre stoisch-karikaturhaften Gesichtszüge herauszuschreien. Ob Walkers Sphinx dabei in einer ägyptischen Tradition steht und so als geheimnisvolle Wächterfigur assoziiert werden kann, oder doch eher einer griechischen Lesart folgt, bei der jeder Vorbeikommende ein Rätsel lösen muss und bei falscher Antwort den Tod findet, bleibt dem Interpreten selbst überlassen. Hier zeigt sich Walkers subtiler Humor, der nicht selten ins zynische umschlägt und den Schmerz von Generationen und ganzen Bevölkerungsgruppen bildlich sichtbar macht, da Worte dies nicht vermögen.

Und Kara Walker in der deutschen Museumswelt? Absolute Ignoranz. Eine kleine Ausstellungstournee gab es vor 15 Jahren durch den Mannheimer Kunstverein, dem Museum Weserburg in Bremen und anschließend in die (heute nicht mehr existierende) Deutsche Guggenheim in Berlin. Selbst Galerieausstellungen stagnieren seit Mitte der 2000er Jahre hierzulande. Das einzige Werk in einer(!) öffentlichen deutschen Sammlung befindet sich in der Deutschen Bank in Frankfurt am Main.

Kara Walker: At the behest of Creative Time Kara E. Walker has confected: A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby, an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant. A project of Creative Time, installation view: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, NY, 2014. Photo: Jason Wyche. Artwork © 2014 Kara Walker.
Kara Walker: At the behest of Creative Time Kara E. Walker has confected: A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby, an Homage to the unpaid and overworked Artisans who have refined our Sweet tastes from the cane fields to the Kitchens of the New World on the Occasion of the demolition of the Domino Sugar Refining Plant. A project of Creative Time, installation view: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, NY, 2014. Photo: Jason Wyche. Artwork © 2014 Kara Walker.

Mit Blick auf die Globalisierung lässt sich fragen: In wieweit hat Bruno Latour mit seinen Thesen vom Globalen/Lokalen doch recht? Sind es zu sehr die amerikanischen Probleme, die dort behandelt werden und kommt das Werk von Walker deshalb in Deutschland kaum vor? (Möchte man sich nicht so sehr auf Walker konzentrieren, kann ebenso das Werk von Kerry James Marshall herangezogen werden, der gerade eine hochgelobte Retrospektive im Met Breuer, New York, hatte.)

Die Kunstwelt beschreibt sich gerne als Musterbeispiel der Globalisierung. Nicht nur die Künstlerinnen und Künstler, sondern auch Sammler, Kuratoren und alle Arten von Advisern müssen global denken, um sich zeitgemäß zu verhalten. Müsste dann nicht eine in den USA so relevante Künstlerin auch international entsprechend repräsentiert sein? Vielleicht ist das Ganze aber auch andersherum: Da der Kunstjetset zu global denkt, ist Kara Walker in ihrer Welt ausreichend repräsentiert. Dabei verlieren sie aber den Blick für das Lokale und ihr Fehlen in Deutschland. Zumindest dürfte sich Latour dabei bestätigt fühlen, denn diese Auffassung von Globalität wäre nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gesamtheit des Globalen nicht zu denken ist – zumindest nicht mit herkömmlichen Modellen.

Sollte es wirklich so sein, dass Kara Walkers Themen nicht genügend Relevanz für die deutsche Museumslandschaft haben, dann wäre dies ein trauriger, gar provinzieller Sachverhalt. Verfolgt man das Gedankenexperiment jedoch widerwillig weiter und stellt sich die Frage: wer wäre ein geeignetes Substitut in unserem Land? – …dann kommt mir nur immer wieder in den Sinn: Wahrscheinlich nicht Jonathan Meese.

 

 

 

 

 

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