Weißer Rausch

15.9. – 12.12.2021 | Akademie der Künste

“Hier gibt es nichts zu sehen!” – hört man das von der Polizei, geht man besser weiter. Hört man das von der Akademie der Künste in Berlin, dann sollte man sich Zeit für einen näheren Blick nehmen. Denn dass die Abwesenheit von Erwartetem eine besonders ausdrucksstarke Form der Anwesenheit von Kunst ist, wissen wir spätestens seit Malewitschs “Schwarzem Quadrat” oder John Cages komponierter Pause “4’33””. Auf Cage geht der Neologismus “Nothingtoseeness”, also einer Nichtszusehenheit, zurück, den die Ausstellung am Hanseatenweg im Tiergarten als Titel nutzt.

Die Vielfalt der Positionen und der große Klang der dahinterstehenden Namen belegen eindrucksvoll, dass Malewitsch und Cage keine vereinzelt stehenden Kuriositäten geschaffen haben. Kunstschaffende haben in ihren jeweiligen Materialien und Disziplinen die Wirkung einer radikalen Reduktion immer weiter erforscht. 75 von ihnen tragen Arbeiten zur Schau in der Akademie der Künste bei. Das „Schwarze Quadrat“ ist nicht unter ihnen, denn diese Ausstellung konzentriert sich in der Frage nach Reduktion in der Kunst ganz auf die Farbe Weiß. Yves Klein hat dieses Thema ganz ausdrücklich und wörtlich umgesetzt, wie sein ausgestelltes „Untitled White Monochrome“ von 1958 zeigt. Die noch radikalere Zurücknahme in Gestalt seiner Ausstellung „Le Vide“ aus dem selben Jahr ist als Filmdokument zu sehen.

Manche Projekte geraten trotz des Ziels der eigenen Zurücknahme zur Materialschlacht. Das Cover des „White Album“, das Richard Hamilton für die Beatles gestaltete, nimmt sich ausdrücklich als Reaktion auf das vorangegangene, farb- und motivgesättigte Cover von „Sgt. Pepper’s Loneley Hearts Club Band“ zurück. Es bietet Freiraum für die Imagination der Hörenden. Rutherford Chang häuft für seine Installation „We collect White Albums“ massenweise Ausgaben dieser Platte an, es sind bereits an die 3000 Exemplare. Die Abwesenheit von Farbe wird durch die übermäßige Anwesenheit von Material konterkariert. Eine eigene Form von Pop-Art. Es war übrigens während der Aufnahmen zum „White Album“, als die zunehmende Anwesenheit von Yoko Ono manchem Beatle außer John Lennon zu viel wurde. Auch sie ist in „Nothingtoseeness“ mit einer Arbeit vertreten.

Es mutet ironisch an, dass gerade diese Werke des Nicht-Ausgeführten und Nicht -Umgesetzten, des Abwesenden also, besonders stark die Bedeutung der Anwesenheit eines Kunstwerkes im Original belegen. Walter Benjamin behandelt in einem seiner wohl meistzitierten Texte Fotografie und Film als Mittel der technischen Reproduzierbarkeit von Kunst. Eine am heimischen Rechner oder auf dem Handy abgespielte Video-Datei von Nam June Paiks „Zen for Film“ würde aber wirkungslos bleiben, denn sie würde nicht funktionieren. Ohne den Lichtkegel des Projektors, durch den Paik einen unbelichteten Film laufen lässt, beleuchtet dieser nichts in der umgebenden Welt, was aber gerade die Pointe wäre. Das Zen-Moment fiele aus. Nach dem langen Lockdown tut die Berliner Ausstellung physisch vorhandener Werke daher besonders gut und unterstreicht einmal mehr, wie wertvoll die Arbeit von Ausstellungsmachern in Museen, Galerien und Kunsthallen ist.

Jan Bykowski ist Journalist für Kunst und ihre Märkte in Berlin.

 

 

 

Nothingtoseeness. Leere/Weiß/Stille

15.9. – 12.12.2021
Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
D-10557 Berlin
Tel.: +49-30-200572000
Di – So 11 – 19 Uhr
Eintritt: 9 €, erm. 6 €
www.adk.de

Text: Jan Bykowski
Bild: Akademie der Künste
Erstveröffentlichung in kunst:art 81