Was ist die Zeit?

14.1. – 10.4.2022 | Hamburger Kunsthalle

Eine einfache Frage, eine unergründliche Frage: Was ist nur dieses unaufhaltsame Verrinnen, dem unser Tun (und auch unser Lassen…) so gnadenlos unterworfen sind, kurz: Was ist die Zeit? Jedes Museum hat diese Frage gewissermaßen indirekt als Grundstein, denn im Museum werden Objekte und die dahinter stehenden Gedanken und Fähigkeiten aus dem so leisen wie stetigen Ablauf der Zeit herausgenommen, sie werden, so dachte man wenigstens vorzeiten, zum Kanon, mindestens aber zum Zeugnis. Die Hamburger Kunsthalle vertieft sich in die Frage nach der Zeit und erweitert die Thematik gleich von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft (die auch einmal Gegenwart und noch später Vergangenheit sein wird).

Die Erfindung der mehr oder weniger exakten Messung der Zeit im Technologieschub der Renaissance steht zentral am Beginn der Moderne – „Futura“ geht es aber um weit mehr als um die bloße Messung: Die Vermessung ist mehrdimensionaler, sie macht den imaginierten Vor- wie den Rücklauf denkbar und auch die Hereinnahme räumlicher Koordinaten. Welcher Weg führt vom Heute ins Morgen, ins Gestern, und wo schneiden sie sich? Ganz konkret beispielsweise in der Achse, die vom Dach- bis hinunter ins Sockelgeschoss der Kunsthalle geht. Genau auf ihr befindet sich ein Kunstwerk, das sich aber eigentlich nicht – statisch – „befindet“, sondern das erst – dynamisch – entsteht: Bogomir Eckers „Tropfsteinmaschine“. Dieses Werk stellt, wenn man so will, den Ablauf der Zeit dar – im Material der Zeit selbst. Das auf dem bekannten Schildchen lesbare Entstehungsdatum „1996–2496“ ist in seiner Irrealität stupend: Über den uns eigentlich persönlich unvorstellbaren Zeitraum von 500 Jahren wird die Maschine im stetigen Fall der Tropfen Stalagmiten und Stalagtiten gebildet haben – von etwa 5 Zentimetern Größe … Die subjektive Relativität der doch so objektiven Größe Zeit fällt ins Auge, unsere eigene Endlichkeit wird schmerzlich bewusst. Wie sieht die uns unerreichbare Zukunft der „Tropfsteinmaschine“ aus, wird jemand das Ergebnis sehen, wird jemand sein, der den Mechanismus bis dahin betreut?

„Futura. Vermessung der Zeit“ stellt sich anlässlich des 25-jährigen Wirkens der Eckerschen Maschine den grundsätzlichen Fragen der Zeitlichkeit, der möglichen Dauer und auch den mit dieser verbundenen Zukunftsvorstellungen. Bogomir Ecker als Künstler und Brigitte Kölle als Sammlungkuratorin schicken uns auf einen Parcours, der assoziativ und spielerisch Archivmaterial, Bildzitate und Originalwerke zusammenbringt. Ist „Zukunft als Denkform“ überhaupt noch möglich in einer immer schnelllebiger werdenden technischen Zivilisation – oder ist sie hier, angesichts der bekannten Probleme, erst recht vonnöten? „Was kann die Kunst als ästhetische Kategorie und Erfahrung“ hier beitragen? Ein umfangreiches interdisziplinäres Veranstaltungsprogramm von der Philosophie über die Literatur bis zur Musik vertieft die Fragestellung – durch Antworten oder durch neue Fragen!

 

 

 

Futura. Vermessung der Zeit
14.1. – 10.4.2022
Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall 5
D-20095 Hamburg
Tel.: +49-40-428131200
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 14 – 16 €, erm. 8 €
www.hamburger-kunsthalle.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Hamburger Kunsthalle
Erstveröffentlichung in kunst:art 83

Über Dieter Begemann 270 Artikel
Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!