
von Dieter Begemann //
Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600
Tagesnachrichten kommen ohne dieses Wort nicht aus: Katastrophe. In unzähligen Varianten, Erdbeben-, Atom-, Brückenkatastrophen … Schrecken und Faszination stehen angesichts des Desasters auffällig dicht beieinander. Die Hamburger Kunsthalle untersucht nun in einer groß angelegten Schau das „Bild der Katastrophe“. Die frühesten Arbeiten hier stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert, als sich in den Niederlanden verheerende Überschwemmungen ereigneten. „Entfesselte Natur“ ist der Obertitel der Ausstellung, die aber diese enge Definition nicht allzu wörtlich nimmt. Denn in eben diesem „Goldenen Zeitalter“ kam es auch zu fürchterlichen Explosionen von Pulvermagazinen, die blühende Städte in Schutt legten. Dergleichen Katastrophen machen Menschen zu Opfern, werden aber, anders als Sturm und Erdbeben, auch von Menschen verursacht. Im Falle des „Delfter Donnerschlags“ 1654 von einem Wächter, der mit der Laterne ein wenig nachlässig war … Schiffsunglücke und heutige Reaktorunfälle weisen dieselbe Ambivalenz auf – und die aktuelle Klimadebatte macht klar, dass zwischen Verursachern und Opfern schon gar keine klare Grenze mehr zu ziehen ist.
Auffällig ist, dass der Begriff der Katastrophe erst spät im Sprachgebrauch auftaucht, im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Beflügelt von der Vorliebe für das „Erhabene“ verbindet er sich sogleich mit Ereignissen, die zu Mythen werden. Beispielsweise der Zerstörung Pompejis (die verschüttete Stadt war kurz zuvor entdeckt worden und wird nun eifrig ausgegraben). Darstellungen des Vulkanausbruchs 79 n. Chr. werden förmlich zu Modeartikeln, manche Künstler spezialisieren sich gar auf das spektakuläre Sujet in der Gewissheit, zahlende Abnehmer zu finden. Katastrophen werden schick, der Markt blüht: billiger Holzstich oder ein künstlicher (pyrotechnisch betriebener) Privatvulkan im Garten (in Wörlitz): Allemal schaurig schön! Gut ein Jahrhundert darauf wird eine technische Katastrophe zum quasi-mythischen Ereignis, der Untergang des Ozeanliners Titanic 1912. Hier sind wir natürlich schon in der Epoche moderner technischer Medien und so kommt es, dass nicht nur unzählige Illustrationen und Gemälde, sondern auch eine bekanntlich bis heute andauernde Reihe von Filmfassungen entsteht. Die Mischung von Entsetzen, Schaulust und dem leichten Gruselgefühl (wären wir wirklich im Eisfeld langsamer unterwegs gewesen oder hätten wir uns nicht auch auf die werftseitig garantierte Unsinkbarkeit verlassen?).
Aktuelle Malerei, Film- und Videoarbeiten sind Teil der Hamburger Ausstellung, aber natürlich darf auch ein einschlägiges Hauptwerk aus dem Besitz des Hauses nicht fehlen, C.D. Friedrichs „Eismeer“. Diese Gemälde von 1824 verlässt alle Dramatik, die Katastrophenbilder sonst gern auszeichnet, und zeigt die zum Stillstand gefrorene Katastrophe. Vielleicht seit Jahren oder Jahrhunderten ist dieses Wrack vom Eis begraben. Eine Welt ohne Zeit, ohne Menschen: Verblüffend, wie der romantische Maler hier das Genre der postapokalyptischen Filme vorwegzunehmen scheint!
Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600
bis zum 14.10.2018
Hamburger Kunsthalle
Galerie der Gegenwart
Glockengießerwall 5
D-20095 Hamburg
Tel.: +49-40-428131200
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 14 €, erm. 8 €
www.hamburger-kunsthalle.de
Text: Dieter Begemann | Bild: Hamburger Kunsthalle
Erstveröffentlichung: kunst:art 63.