Kunst! Klima! Krise!

Ein Kommentar von Mathias Fritzsche

Die Kunst gilt als verlässlicher Gradmesser der gesellschaftlichen Probleme und Entwicklungen. So sind es meist die Kunstwerke, die am Puls der Zeit sind, die überdauern und auch später, wenn alles längst erledigt ist, die Menschen noch erreichen und Trends überdauern.

So waren es beispielsweise die Werke von Künstlern, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen haben (häufig als Freiwillige mit großem Pathos), die hernach über die Grausamkeiten des Kriegs und ihre Hoffnungslosigkeit in Bildern Kunde getan haben.

In den ausgehenden 1920er-Jahren war es die Armut auf den Straßen der Städte, insbesondere Berlins, die Künstler bewegte. Unvergessen die Werke von Käthe Kollwitz, aber auch Otto Dix, Max Beckmann und Georg Grosz, die Menschen in Armut und Verzweiflung zeigten. Ausgemergelte Körper und Hunger bestimmten den Alltag vieler Menschen in der Weltwirtschaftskrise. Bis heute berühren diese Zeugnisse aus Künstlerhand.

Der gesellschaftliche Aufbruch der 1960er-Jahre, die Befreiung der Jugend von den Wertevorstellungen der Eltern- und Großeltern, die Experimente mit Drogen und die zunehmende (wenngleich noch in den Kinderschuhen steckende) Gleichberechtigung von Mann und Frau hat sich in der Pop Art manifestiert. Auch sie sind zeitlose Zeugnisse, die sich über die Jahrzehnte hinweg großer Beliebtheit erfreuen.

Es lassen sich noch viele weitere Beispiele dafür finden, dass ein neuer Stil und auch nur ein oder mehrere Künstler sich einer gesellschaftlichen Entwicklung widmeten und diese in der Kunst verarbeiteten. Nicht wenige meinen genau das, wenn sie davon sprechen, dass gute Kunst „relevant“ sein muss.

Es gibt derzeit verschiedene Themen, die gesellschaftlich von großer Bedeutung sind. Sei es der Krieg in der Ukraine, die Sorge vor Arbeitsplatzverlust an KI-ähnliche Computer oder, paradoxerweise, der Arbeitskraftmangel. Über allem schwebt aber eine Herausforderung, die alle anderen klein erscheinen lässt: Die menschgemachte Klimaerwärmung und die damit einhergehenden Gefahren für die Menschheit.

Wohl selten hat es eine Gefahr für die Menschheit gegeben, die solch endgültige Auswirkungen haben konnte. Gewiss, mit einer Eindämmung der Erwärmung wäre es möglich, unter erschwerten Bedingungen ein Überleben zu sichern. Doch noch kann man nur anhand wissenschaftlicher Modelle erahnen, welche Auswirkungen 1,5 Grad oder 2 Grad Erwärmung auf die Artenvielfalt, den Meeresspiegel, klimatische Extreme oder sogar die Strömungen in den Meeren haben. Und wann genau ein Kreislauf in Gang kommt, der die Klimaerwärmung potenziert, das wissen wir auch nicht. Man kann also davon sprechen, dass die Menschheit vor ihrer größten Herausforderung steht.

Und doch ist die Kunst, sind die Künstlerinnen und Künstler seltsam reserviert gegenüber diesem Thema. Es gibt vereinzelte Positionen, sicherlich, die sich dem Thema angenommen haben. Man denke nur an Julian Charrière, der mit einer Lötlampe einen Eisberg bestieg, um diesen zu schmelzen. Oder Ai Weiwei, der mit seiner Ausstellung „Roots“ an die Zerstörung des Regenwaldes erinnert. Und natürlich Olafur Eliasson, der mit mehreren Projekten das Bewusstsein der Menschen für die Gefahren auch des Klimawandels schärfen möchte.

Aber vielleicht ist die Last des Themas zu groß, zu unbezwingbar. Möglicherweise ein „Wer bin ich, dass ich den Klimawandel bezwingen möchte!“? Dabei ist das nicht nötig, es erwartet sogar niemand. Aber die Kunst kann einen wertvollen Beitrag liefern. Sie kann die Menschen, oder zumindest einen Teil der Menschen sensibilisieren. Wo Politiker im Wettstreit darum, wiedergewählt zu werden, unglaubwürdig und manchmal auch inkonsequent sein können, da können Künstler ganz unbelastet agieren. Wo Wissenschaftler möglicherweise kompliziert und detailversessen sind, da können Künstler plakativ und verständlich sein. Wo Beamte an Regeln gebunden sind, sind Künstler frei von Regeln.

Nun, Kunstkritik hat nicht die Aufgabe, Künstlern zu erklären, was sie machen sollen. Aber sie darf zumindest der Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass dieses entscheidende, besonders künftige Generationen belastende Thema so zurückhaltend aufgegriffen wird.

Text: Mathias Fritzsche
Erstveröffentlichung in kunst:art 90

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