Parodien der Modefotografie

21.4. – 10.9.2023 | Staatsgalerie Stuttgart

Die US-amerikanische Fotokünstlerin Cindy Sherman (* 1954) ist vor allem für Fotoserien bekannt, bei denen sie mit Hilfe von Verkleidungen, Schminkspielen und schaurigen Inszenierungen in unterschiedlichste Rollen schlüpft. Dabei agiert sie zugleich vor wie auch hinter der Kamera: als Regisseurin, Fotografin und Hauptdarstellerin. Das Resultat ist ein Bildkosmos voller genüsslich inszenierter Täuschungen und Maskeraden, in dem sich die Künstlerin konzeptuell mit Fragen der Identität, Rollenbilder, Körperlichkeit und Sexualität beschäftigt. Auch wenn Shermans künstlerische Arbeit deutlich von ihrer persönlichen Lust an Verkleidung und Verstellung geprägt ist, begreift sich die Künstlerin immer nur als Darstellerin ihrer fotografischen Inszenierungen, bei denen es nicht um die Person Cindy Sherman geht. Während ihre früheren Serien weniger das Ergebnis einer Maskerade als vielmehr ihre Prozesse zeigen, durch die das Selbst zum Verschwinden gebracht wird, offenbaren ihre Fashion-Serie, die sie als Auftragsarbeiten für Mode-Labels produzierte, wie meisterhaft Sherman Verkleidung und Inszenierung beherrscht. Sherman inszeniert darin Posen aus Mode-Magazinen, unterläuft jedoch Erwartungen an Modefotografie und gesellschaftliche Vorstellungen von Weiblichkeit. Sherman füllt ihre Rollen bis ins feinste Detail der Gestik und Verkleidung aus. Weibliche Stereotype sind eines der Hauptthemen ihrer Fotografien. Bewusst provozierend spielt sie dabei immer wieder mit dem männlichen Blick. In dem in der Stuttgarter Ausstellung gezeigten Bild „Untitled #133“ etwa inszeniert sie sich als verstört wirkendes Model. So sind ihre Fashion Shoots vielmehr eine Antithese zur glamourösen Welt der Mode.

Seit knapp fünfzig Jahren nun macht Cindy Sherman die Mode und deren Darstellung zum Thema ihrer Arbeit. Sie nutzt ihre zahlreichen Aufträge von Zeitschriften wie Vogue und Harper‘s Bazaar sowie ihre enge Zusammenarbeit mit berühmten Designern als ständige Quelle der Inspiration. Shermans Interesse für die Modewelt zeigt eine subversive Haltung gegenüber dem, was sie repräsentiert. Durch Humor und Inszenierung werden ihre Bilder zu Parodien der Modefotografie: Sie zeigen Figuren, die sich dem widersetzen, was gesellschaftlich als begehrenswert erachtet wird, und brechen auf diese Weise mit den üblichen Vorstellungen von Schönheit und Haute Couture. Egal ob Sherman in ihren Figuren Außenseiter, Partygänger, Clowns, Protagonisten von Realityshows oder karnevaleske Figuren darstellt, sie sind immer Opfer von Schönheitsnormen und Verhaltensmustern. Mit ihren kaum kaschierten Spuren von Schönheitsoperationen und ihren knalligen Outfits zeigen ihre älteren Frauen das verzweifelte Streben nach Jugend. Shermans Fotografien sind auch ein Kommentar zum Thema Altern in unserer Gesellschaft und zu den Möglichkeiten digitaler und operativer Verschönerung. Schließlich offenbart die große Bandbreite an gezeigten Charakteren die Künstlichkeit und Wandelbarkeit von Identität, die mehr denn je fließend erscheint.

Stefan Simon weiß als Kunsthistoriker, dass es auch immer auf die Perspektive ankommt

Cindy Sherman. Anti-Fashion
21.4. – 10.9.2023
Staatsgalerie Stuttgart
Konrad-Adenauer-Str. 30-32
D-70173 Stuttgart
Tel.: +49-711-470400
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
www.staatsgalerie.de

Text: Stefan Simon
Bild: Staatsgalerie Stuttgart
Erstveröffentlichung in kunst:art 91