Mit einer in der Kunst der Gegenwart seltenen Konsequenz und Präzision beschäftigt sich Thomas Huber seit mehr als dreißig Jahren mit der Frage, welchen Ort, welche Relevanz und welche Realität gemalte Bilder haben. Im Stil eines analytischen Forschers entwirft der 1955 in Zürich geborene und mittlerweile in Berlin lebende Künstler seine meist architektonisch geprägten Bildräume als Modellkonstruktionen, in denen die verschiedenen Erscheinungs- und Wirkungsweisen des Bildes erprobt und diskutiert werden können. Innerhalb dieses Kosmos, in dem die Skepsis gegenüber den Möglichkeiten des Bildes ebenso enthalten ist, wie das Vertrauen in seine imaginative, utopische Kraft, argumentiert der Künstler nicht mit anarchisch-malerischer Virtuosität, sondern mit dem chirurgischen Skalpell kühler, klinisch reiner Bildkonstruktionen.
In zumeist menschenlosen Räumen und anonymen Architekturen wird der “Aushub” produziert, aus dem sich die Bildtiefe ergibt. An den Wänden oder auf großen Staffeleien platziert kehren uns die Leinwände wahlweise ihre Vorder- oder ihre Rückseite zu, und zeigen sich so als Gezeigtes. Horizonte, Räume und Bilder werden akribisch, aber nicht nach mathematischen Kriterien vermessen. Räume enthalten weitere Räume, die ihrerseits mit Bildern angefüllt sind, die weitere Bilder voller Räume und Bilder zeigen. Es sind einsame, kühl melancholische, surreal anmutende Szenarien, die der Künstler entwirft, und durch dreidimensionale Objekte, wie zum Beispiel weißgestrichenen Architekturmodelle erweitert. Eine Welt der paradoxen Kombinationen, erfüllt von zahlreichen Echos und Spiegelungen, in denen jedes Objekt, jedes Bild, jeder Raum zum einen auf seine Gemachtheit, auf seine Zeichenhaftigkeit verweist, und andererseits auch deutlich erkennen lässt, dass diese Bilderräume und Bilderträume als Herausforderung an die Wirklichkeit zu verstehen sind. Das heißt, dass es in diesem Werk durchaus auch um die wirklichkeitsbildende und wirklichkeitsverändernde Kraft der Bilder geht.
Eine weitere, wesentliche Qualität des OEuvres besteht darin, dass es Wege gefunden hat, den klassischen Antagonismus zwischen Bild und Text zu überwinden, indem es ihn zum Ausgangs- und Zielpunkt seiner Bildforschungen macht. Hubers durch zahlreiche Skizzen, Zeichnungen, Aquarelle vorbereiteten zentralen Gemälde sind erstens oft Anlässe für umfangreiche, auf eine vertrackt hintersinnige Art immer auch sehr humorvolle Reden, die der Künstler über sie, an sie, und über sie hinaus schreibt und öffentlich vorträgt. Die Bilder sind zweitens in ihrer kompositorischen Anlage – zwischen ihrem Renaissance-induziertem
zentralperspektivischem Aufbau und den Verweisen auf die geometrisch-abstrakte Sprache des 20. Jahrhunderts – selbst schon immer textuell angelegt. In gewisser Weise versuchen sie der Schwierigkeit vor Kunstwerken eine adäquate Sprache zu entwickeln, Bilder entgegenzusetzen, die nicht nur sprachfähig sind, sondern selber eine eigene Sprache beherrschen. Insofern ist jedes neu entstehende Werk in diesem Kosmos ein Teil einer auf Verknüpfung und Lesbarkeit angelegten Bildgrammatik.
Für das Kunstmuseum Bonn entwickelt Thomas Huber acht Jahre nach seiner letzten größeren Ausstellung in Nordrhein-Westfalen ein neues, umfangreiches Kapitel seiner systematischen Bilder-Lehre. Der Titel der Ausstellung Am Horizont verweist zum einen darauf, dass für alle Bilder, die mittels der Perspektive konstruiert werden, der Horizont, als Linie, auf die sich alle Dinge und Ereignisse im Bild beziehen, die entscheidende Konstante ist. Andererseits dient der
Horizont hier auch als Metapher für eine Grenze, die sich unter- oder überschreiten lässt, und damit als Hinweis auf den Diskurs, den die Bilder über ihren eigenen Status führen. Die rund 90 Bilder und 9 Architekturmodelle umfassende Ausstellung entfaltet sich in neun, untereinander vielfältig verknüpften Kapiteln, wovon vier eigens für Bonn konzipiert werden, und die restlichen aus Werkgruppen schöpfen, die seit 2009 entstanden sind.
“Rette sich wer kann” und “Das Meer” (neu) bilden in diesem Reigen gewissermaßen den katastrophischen Auftakt: Die elementaren Kräfte, in Form von Brand und Überschwemmung haben überhandgenommen und bedrohen die Welt und die Bilder, die hier in eins gesetzt werden. Hoffnung birgt allein der Horizont in der Ferne. Mit den anschließenden “Bildräumen”, darunter “Vis-a-vis” (neu) und einem Raum zum Thema “Aushub” (neu) wird zum einen die Bildtiefe nicht als imaginäre Größe, sondern als handfeste Tatsache bestimmt, zum anderen aber auch die Innenperspektive des Bildes erprobt: Wie sähe das aus, wenn man buchstäblich im Bilde wäre ? “Der Rote Fries” enthält, aufgereiht an einer roten Horizontlinie 27 klein- und mittelformatige Bilder, die so etwas wie die Bildgrammatik des Werks formulieren: Ein malerisches Alphabet. Der zentrale Raum “Am Horizont” (neu) besteht aus einer Gruppe von großformatigen Bildern, deren farbige, und jeweils auf gleicher Horizonthöhe angeordnete Architekturansichten in neun Architekturmodellen gespiegelt werden, die den Bildern gegenüberstehen. Der flache und der volumenbildende Entwurf zeigen die jeweils unterschiedlichen Konstruktionen des Bildraums. Den Abschluss der Ausstellung bildet “Seance”, das sich mit dem von falschen Zuschreibungen und Erwartungen überfrachteten Bildraum beschäftigt. Der Künstler, der darüber in große Erregung geraten ist, versucht den Ort seiner Bilder zu reinigen und gleichzeitig all das, was fälschlicherweise unter den Teppich gekehrt wurde, wieder hervorzuholen.
Text: Kunstmuseum Bonn | Foto: Kunstmuseum Bonn
Externer Link: Kunstmuseum Bonn
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