Artland Heartland | Die Farbe der Hoffnung als Heilmittel, oder: „If you get lost come on home to Green River“.

Artland Heartland

Olafur Eliasson, Green river, 1998 uranine, water. Installation view: Stockholm, 2000. © Olafur Eliasson. Photo by Olafur Eliasson. Courtesy the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York.

 

Es war 1969, als die amerikanische Band Creedence Clearwater Revival den Green River als idyllischen Zufluchtsort besang. Beim Blick hinaus in die Welt sah man bereits damals überall den „schwelenden Brand“, den die Band besang und der die Menschheit bedrohte. Kam es zu einer gewissen Verlorenheit, so gab es immerhin noch den Green River, der mit seinen unbehelligt lebenden Libellen und Ochsenfröschen den perfekten Frieden versprach.

Nun sind seit Ende der Sechziger annähernd fünfzig Jahre vergangen und der Schwelbrand „Umweltzerstörung“ ist zu einem lodernden Feuer geworden – tatsächlich wohl so umfassend, dass der Mensch es nicht (mehr) als zusammenhängendes Inferno betrachten kann oder will. Der Philosoph Timothy Morton hat für diese Art von Phänomenen den Begriff Hyberobject geprägt. Ein Konstrukt, welches fraglos real ist, aber „massively distributed in time and space relative to humans.“ Trotz des menschlichen Beitrags zu einem Hyberobject übersteigt es den menschlichen Maßstab um sein vielfaches; muss aber dennoch als ein zusammenhängendes Objekt betrachtet werden, da alle Teile miteinander verbunden sind.

Es ist belegt, dass heutzutage weltweit viele lokale Insektenarten ausgestorben sind und sich ihr Bestand alleine in Deutschland in den letzten fast drei Jahrzehnten um Schätzungsweise 75% dezimiert hat. Ob Creedence’ Songschreiber John Fogerty immer noch von den Libellen in seinem Arkadien nahe dem Green River schwärmen könnte, ist mehr als fraglich. Sein zweites prominentes Beispiel aus dem Song, der Ochsenfrosch, hat ein noch düstereres Schicksal. Tatsächlich sind Amphibien die am stärkste bedrohte Tierart. Nachdem ihre Vorläufer vor circa 400 Millionen Jahren aus dem Ozean krochen und sie seit 250 Millionen Jahren als Tiergattung existieren, verschwinden sie nun. Die Hintergrundrate des Aussterbens, die es bei allen Spezies evolutionsbedingt gibt, ist bei Amphibien derzeit 45.000mal höher als normal. Was bleibt von Fogertys Stätte der Zuflucht, wenn die Zutaten genommen werden? – sein Green River (er meint vermutlich den größten Nebenfluss des Colorado River) bleibt verwaist zurück und ist damit nicht gerade der Inbegriff eines „home“.

Olafur Eliasson, Green river, 1998 uranine, water. Installation view: Moss, 1998. © Olafur Eliasson. Photo by Olafur Eliasson. Courtesy the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York.

Vor diesem Hintergrund, ist es spannend, den Blick etwas mehr in die Gegenwart zu richten: auf die Green river des Künstlers Olafur Eliasson. Es handelt sich dabei um eine mehrfach an unterschiedlichen Orten wiederholte Kunstaktion, die er von 1998 bis 2001 durchführte. Zwar bereits knapp zwei Jahrzehnte zurückliegend, verweisen sie doch auf viele aktuelle Debatten, die zu führen sind im Zeichen der globalen Erwärmung und der Wucht, mit der der Mensch Erdgeschichte schreibt. Ein Teil des sonst so undurchschaubaren Netzwerks, ein Teil des sonst unsichtbaren Hyberobjects, färbt sich grün.

Eliassons Green river wurden durch das Pigment Uranin verursacht. So stand er mit einem Assistenten auf einer Brücke in Stockholms Innenstadt und ließ das rote Pulver aus einer Einkaufstüte als giftig anmutende Wolke ins Wasser gleiten. Unmittelbar beim Wasserkontakt entstand die toxisch grünliche Verfärbung.

Da es eine nicht angekündigte Guerillaaktion war, können die nachfolgenden Reaktionen als Teil des Kunstwerks gelten. Absurderweise gab es am nächsten Tag Zeitungsberichte, die den Vorfall erklärten, denn immerhin gingen einige Nachfragen bezüglich des comichaft verfärbten Wassers mitten in der Stadt ein. Es gab eine offizielle Erklärung der Lokalpolitik, dass die Verfärbung unbedenklich sei und vom städtischen Heizwerk kam. Es wurde eine komplett ausgedachte Ursache erfunden, womit es auch zur Kontrolle des öffentlichen Diskurses kommen sollte. Denn die kontrastreiche Verfärbung macht das sonst so alltäglich-friedlich, gar unsichtbare dahinplätschern unserer Lebensgrundlage sichtbar. Da wäre eigentlich die Anschlussfrage folgerichtig: welche Stoffe muten wir noch dem wichtigsten Rohstoff auf Erden zu, ohne dass dieser sofort eine außergewöhnliche Farbe annimmt?

Olafur Eliasson, Green river, 1998 uranine, water. Installation view: Bremen, 1998. © Olafur Eliasson. Photo by Helmut Wieben.
Courtesy the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York.

Weitere Green river hat Eliasson in Bremen und Tokyo, in Moss, einem kleinen Städtchen in Norwegen, sowie inmitten der isländischen Landschaft und in Los Angeles entstehen lassen. Für ihn ging es dabei vornehmlich um das Thema der Erfahrung beim Betrachter und was passiert, wenn diese plötzlich herausgefordert wird: Wie verschiebt sich das alltägliche Regime der Sichtbarkeit, das uns sicher, aber eingeschränkt durch die Umwelt geleitet? Die Reaktionen fielen dabei erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Jedoch ist es mehr als verblüffend, dass gerade in Los Angeles kaum jemand vom Green river Notiz nahm, obwohl dort Wasserverschwendung strafbar ist und es nach Jahrzehnten der notorischen Knappheit in den letzten Jahren zu Spekulationsentwicklungen an den Finanzmärkten mit dem Rohstoff „Wasser“ kam.

Denn tatsächlich befinden wir uns gerade im Prozess eines Massenaussterbens, wie die Wissenschaftsjournalisten Elizabeth Kolbert in ihrem Buch Das 6. Sterben aus dem Jahr 2015 an vielen Einzelbeispielen verdeutlicht. In der Erdgeschichte gab es bisher fünf Massenaussterben seit die ersten Wirbeltiere vor circa 500 Millionen Jahren auftauchten. Das jetzige, welches sich unter anderem an dem extremen Verlust der Biodiversität, der Übersäuerung der Ozeane, der globalen Erwärmung, dem Verschwinden von Gletscher und Packeis sowie den Extremwetterphänomenen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürmen zeigt, ist dabei nachweislich vom Menschen verursacht – und wird allgemein mit dem Begriff des Anthropozäns assoziiert. Wichtig ist dabei, dass alle Einzelteile des Klimawandels nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, sondern in einem reziproken Netzwerk miteinander verbunden sind, die über ein klassisches Ursache-und-Wirkung Schema weit hinausgehen.


Olafur Eliasson, Green river, 1998 uranine, water. Installation view: Los Angeles, 1999. © Olafur Eliasson. Photo by Olafur Eliasson. Courtesy the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York.

Eliassons Aktionen mit giftgrünen Flüssen sind deshalb so wichtig, da sie den Menschen auf eine (super)direkte Art auf die Probleme stoßen. Obwohl es Warnzeichen zur Genüge gibt, haben diese im Sinne eines Hyperobjects möglicherweise einen zu großen Maßstab für den Menschen. Bei einer direkt sichtbaren und vollends unnatürlichen Verfärbung vor der eigenen Haustür sollte es jedoch anders sein. Nun ist hier das Heilmittel eher ein Placebo, da es keinerlei direkt heilende Wirkung hat. Dies ist jedoch nicht negativ, sondern Allgemeingültig für Kunst, die den Vorteil hat, ein direktes Eingreifen gegenüber Erkenntnisproduktion hintenanzustellen. Etwas sichtbar machen, Diskurse anschieben und damit an der Umverteilung von Sinn mitarbeiten, ist die primäre Aufgabe eines Kunstwerks.

Lachse sehen es anscheinend als ihre genetische Pflicht an, mühsam den Fluss hinaufzuziehen, um dort zu laichen und zu sterben. Bezogen auf den Menschen ist die Frage, ob er es schafft, sein „egoistisches Gen“, wie Richard Dawkins es 1976 in seinem gleichnamigen Buch prognostizierte, zu überwinden, oder es zumindest ein wenig in Schach zu halten. Der Vorteil des Einzelnen mag in kleinen Maßstäben verfolgt werden können, wenn jedoch die gesamte Spezies in Gefahr ist – und dies nach einem Wimpernschlag im Vergleich zu der bisherigen Erdentwicklungszeit ­– ist der Mensch dann in der Lage, Vorteile zu erkennen?

Interessanterweise gab es Mitte September dieses Jahres wieder die grünliche Verfärbung eines Flusses: diesmal die Dreisam in Freiburg. Einige Zeitungsartikel haben das Ereignis beschrieben, dahinter wird ein „Spaß“ vermutet. Es könnte ebenso sein, dass Umweltaktivisten sich die Geste von Eliasson angeeignet haben, wie dies im letzten Jahr im Südosten Frankreichs passierte, als mehrere Flüsse urplötzlich grün wurden. Im Jahr 2017 müssen Künstlerinnen und Künstler jedoch andere Wege finden, um Teile des Hyperobjects Biosphäre sichtbar zu machen, denn der Planet ist von unserer Anwesenheit nicht existenziell abhängig. Er wird wie bei den vorherigen fünf Massenaussterben einen neuen Weg finden.

Creedence Clearwater Revival dichteten dazu ebenfalls auf ihrem Album von 1969 einige Zeilen, die jedoch weniger idyllisch als Green River daherkamen. In ihrem Song Bad Moon Rising heißt es: „I hope you got your things together / I hope you are quite prepared to die / Looks like we’re in for nasty weather / One eye is taken for an eye“.

 

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