von Dr. Christine Breyhan //
Vor 100 Jahren starb Egon Schiele (Tulln 1890–1918 Wien) mit 28 Jahren. „Künstler werden immer leben.“ Die ausgestellten Meisterwerke, Leihgaben aus dem Leopold Museum in Wien, bezeugen den Ausspruch des Künstlers, der innerhalb weniger Jahre über 350 Gemälde, rund 2.800 Aquarelle und Zeichnungen geschaffen hat. In der Ausstellung wird die Auswahl der Arbeiten durch Fotos, Gedichte und Dokumente ergänzt. Die Hängung folgt den Themen: Körper, Posen, Krieg, Natur. Mit 16 Jahren studierte Schiele an der Wiener Kunstakademie. Nach 2 Jahren verließ er sie, weil er die starren, konservativen Regeln nicht mehr ertrug, und wurde Mitbegründer der Wiener Neukunstgruppe. Als Künstler fühlte er sich nur sich selbst verpflichtet. Gustav Klimt war sein Vorbild und er förderte ihn. Schnell überwand Schiele die dekorative Eleganz des Wiener Jugendstils und entwickelte einen eigenen radikalen Stil, der ihm gleichermaßen Anerkennung wie Ablehnung eintrug.
Neben Landschafts- (Haus mit Mauer vor hügeligem Gelände, 1911) und Blumendarstellungen (Chrysanthemen, 1910) legt die Ausstellung ihren Schwerpunkt auf die Selbst- und Körperdarstellung unter den Aspekten Gefühlswelt und Subjektivität. Über 170 Selbstbildnisse belegen Schieles schonungslosen Blick auf seinen extrem hageren, häufig verzerrt exponierten Körper, während das grimassierende Gesicht die ekstatischen Gesten unterstreicht (Selbstakt mit gespreizten Fingern, 1911). Auf seinen Bildern und vor der Kamera inszenierte er sich in der Rolle des Visionärs, Märtyrers oder Bürgerschrecks, wobei er die Fragilität und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers betonte.
Schockierend und aufreizend wirkten auch die weiblichen Darstellungen (Sitzendes Mädchen mit gespreizten Schenkeln, 1918). Schiele wird als der sinnlichste Expressionist der Wiener Moderne bezeichnet. Die verstörende Körperlichkeit oder die akzentuierten Geschlechtsmerkmale werden als Thematik scheinbar bis heute tabuisiert. Wie soll man sich erklären, dass zum Beispiel in Deutschland und England die Plakatierung der Aktbilder für die Schiele-Ausstellung im Leopold Museum als zu gewagt untersagt wurde?
Umstritten ist die Ansicht der Schiele-Forschung, die die Identifikation des Künstlers mit dem Heiligen Franziskus betont, die Nacktheit mit dem Ideal der Armut. Für diese spirituelle Seite Schieles könnte das Ölbild „Selbstseher“ II („Tod und Mann“) von 1911 stehen. Neben der Vieldeutigkeit der Werke ist die Feinheit der Liniengestaltung, die Brillanz der Farben oder deren Verlöschen wie mit Asche überstäubt, augenfällig. Alles signalisiert neben der künstlerischen Gestaltung die seelische Befindlichkeit. Die leeren Hintergründe verweisen auf keinen Raum oder auf soziale und individuelle Herkunft der Porträtierten: „Es ging ihm um die Darstellung reiner Existenz, um das allgemeine Ich in einer Zeit der Ungewissheit und um fundamentale Kämpfe des Innenlebens.“ (Pressetext)
In einem gesonderten Teil der Ausstellung werden Selbstporträts von Lovis Corinth, Leo von König, Julius Exten, Max Liebermann aus dem Bestand des Museums in Wechselwirkung zu Schieles Arbeiten gesetzt.
Egon Schiele. Freiheit des Ich
14.10.2018 – 6.1.2019
Museum Georg Schäfer
Brückenstr. 20
D-97421 Schweinfurt
Tel.: +49-9721-514820
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 6 €
www.museumgeorgschaefer.de
Erstveröffentlichung in kunst:art 63
Test: Dr. Christine Breyhan | Bild: Museum Georg Schäfer