Wir schauen einem eleganten Paar über die Schultern: der Herr – im verlorenen Profil erahnen wir noch seinen emporgezwirbelten Schnurrbart, Marke „Es ist erreicht!“ – im cremefarbenen Sommeranzug, akzentuiert mit grauen Nadelstreifen, den Kopf geschmückt mit einem modischen Strohhut, Modell „Kreissäge“, und die Dame im figurbetonten weißen Kleid, die schmale Taille geziert mit einer roten Schärpe, die farblich abgestimmte Blume im dunklen Haar und als Sonnenschutz eine weitkrempige Hutkreation. Die beiden blicken von oben auf einen bunt bevölkerten (aber nicht zu bevölkerten) Strand und dahinter glänzt das Meer, wo von links ein Dampfer weitere Feriengäste bringt: Kurz, eine Idealszene stellt uns dieses Fremdenverkehrsplakat vor die Augen. Es lud um die Zeit der Jahrhundertwende gehobenes bürgerliches Publikum in das ein, was man damals „Sommerfrische“ nannte. Das Seebad Wyk auf Föhr ist der Schauplatz: Der Ort konnte damals, zu Kaisers Zeiten, schon auf eine lange touristische Tradition zurückblicken.
Das Seebad feiert heuer die 200. Badesaison und das Jubiläum nimmt das Museum Kunst der Westküste zum Anlass, das kulturelle Phänomen des Urlaubs an der See am besonderen Beispiel Wyk zu beleuchten. 1819 wurde der Badebetrieb aufgenommen an dem Ort, der damals zu Dänemark gehörte – es war die erste Gründung einer solchen Einrichtung im Lande, nahe liegend wohl deshalb, weil das, was für uns Heutige hoch im Norden Deutschlands liegt, für die Dänen damals der Süden war! Das Seebad an der schleswig-holsteinischen Westküste spielte, beinah unberührt von den Verschiebungen auf der politischen Landkarte, eine bedeutende Rolle. Seine Annehmlichkeiten genossen die dänischen Könige, die hier ihre Sommerresidenz hatten, ebenso wie später preußische Prinzen, Adelige und natürlich bald auch die besseren bürgerlichen Kreise. Geselliger Verkehr (bei dem man trotzdem in gewisser Hinsicht unter sich war), ein abendliches Kurkonzert, gute Unterhaltung: Das alles lockte auch die Kreativen in den Norden (oder Süden, je nachdem). Dichter und Schriftsteller erholten sich hier (und arbeiteten wahrscheinlich tiefenentspannt am kleinen Tischchen im Cafe). Theodor Storm und Theodor Fontane, Hans-Christian Andersen oder der Walzerkomponist Johann Strauß sind da nur einige Namen.
Ihnen gleich taten es die bildenden Künstler: Die Romantiker und Realisten des 19. Jahrhunderts kamen auf die Insel und natürlich auch die Impressionisten, die die feuchtigkeitshaltige Luft nicht nur wegen der Gesundheit, sondern auch wegen der durch sie bewirkten atmosphärischen Effekte schätzten. Dem künstlerischen Interesse entsprach eine die Naturnähe suchende moderne Mentalität: Pleinair für jedermann (und jederfrau)! Auch die Lebensreform hinterließ ihre Spuren am Föhrer Südstrand, im „Nordsee-Sanatorium“ kurten die Expressionisten. Den Wandel des touristischen Raums bis hin zur modernen Körperbefindlichkeit (und ihrer Strandmode) zeichnet die aufschlussreiche Ausstellung nach mit einer Vielzahl von Exponaten, die vom Hochkulturellen bis zum Prosaisch-Alltäglichen reichen.
Seebad Wyk auf Föhr 1819 bis 2019
3.3. – 15.7.2019
Museum Kunst der Westküste
Hauptstr. 1
D-25938 Alkersum
Tel.: +49-4681-747400
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 8 €, erm. 4 €
www.mkdw.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Museum Kunst der Westküste
Erstveröffentlichung in kunst:art 66