Blick aufs Wasser

2.4.2023 – 14.1.2024 | Museum Kunst der Westküste

575.000 Quadratkilometer Wasser, durchschnittlich runde 95 Meter tief, ein Randmeer des Atlantischen Ozeans im nordwestlichen Europa – so lauten die trockenen (ist das Sprachbild hier gestattet?) geografischen Fakten. Und doch ist die Nordsee weitaus mehr, sie ist gefährliche Zone jenseits der (relativen) Sicherheit der festen Küste, ist Erholungsraum, ist Wirtschaftraum, ist Grenze zwischen Staaten und Einflusszonen – und verbindender Kulturraum zwischen ihnen. Das Museum Kunst der Westküste auf Föhr nimmt in seiner großen Jahresausstellung für 2023 eben dieses „Große Westmeer“ in den Blick (so, im Westen, stellt sich die Nordsee ja aus deutscher Perspektive dar). Die qualitätvolle Sammlung des Hauses in Alkersum wird hier neu präsentiert und lädt ein zu einer Reise längs der Küsten. Die See allerdings, die dem menschlichen Denken einer einzigen Generation leicht als quasi unveränderliche Größe gelten mochte, unterliegt der Veränderung. „Kulturraum Nordsee im Wandel“ ist die Schau zu Recht untertitelt, denn tatsächlich hat sich dieses Meer (und die Lebensverhältnisse seiner Anwohner) immer schon einmal ziemlich kräftig verändert: kein Wunder, entstand die Nordsee selbst doch erst im Erdzeitalter des Holozäns, vor vielleicht 8.000 Jahren. Während dieser Zeit ist, so weiß die paläogeologische Forschung heute, der Wasserspiegel allmählich um etwa 30 Zentimeter pro Jahrhundert angestiegen. Diese Entwicklung aber ist nun bekanntlich dabei, sich im Zeichen des Klimawandels auf ziemlich bedrohliche Weise zu beschleunigen.

Ökologische Fragen stehen gerade für die jüngere Künstlergeneration im Mittelpunkt. Wie könnte das besser zu veranschaulichen sein als mit den beiden australischen Zwillingsschwestern Christine und Margaret Wertheim und ihrem „Föhr Satellite Reef“? Bei diesem 2012 entstandenen Werk handelt es sich um ein gehäkeltes Korallenriff als kollektives Kunstwerk. An dem grenzüberschreitenden Projekt waren seinerzeit über 750 Mitwirkende beteiligt. Das könnte auch heute ein aussagefähiges künstlerisches Zeichen setzen: dass nämlich die anstehenden Veränderungen nur als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe und im internationalen Verbund zu bewältigen sein werden.

In den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen der Insel Föhr im Engeren, dem Norden Deutschlands im Weiteren, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Großbritannien spielte aber natürlich seit je das Meer eine große Rolle. Es ist geradezu Lebenselixier einer Künstlerkolonie wie der von Skagen am nördlichsten Ende Dänemarks, wo Künstler wie Peder Severin Krøyer um 1900 seine Schönheit beschworen – wie auch die Härte der Arbeit am und auf dem Meer. Und heute? Die Rückenfiguren des Fotografen Joakim Eskildsen schauen jedenfalls unverwandt genau dorthin, wovon der Bildbetrachter listigerweise durch eine hohe Ufermauer abgeschnitten ist, auf das Meer bei Skagen! Emil Nolde, der Norweger Arne Kavli oder der Holländer Henrik Willem Mesdag sind nur einige der zahlreichen weiteren Künstler.

Dieter Begemann interessiert sich (auch) für die angewandte Gestaltung, Kunsthandwerk oder Design: kurz, für die Raffinessen der Dinge!

Auf das große Westmeer schauend. Der Kulturraum Nordsee im Wandel
2.4.2023 – 14.1.2024
Museum Kunst der Westküste
Hauptstr. 1
D-25938 Alkersum / Föhr
Tel.: +49-4681-747400
Di – So 10 – 17 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 5 €
www.mkdw.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Museum Kunst der Westküste
Erstveröffentlichung in kunnst:art 91

Über Dieter Begemann 310 Artikel
Begemanns Blog: Sternschnuppen An dieser Stelle soll es um ästhetische Sternschnuppen gehen und, wie es die Schnuppen so machen, sollen sie hin und her zischen auf manchmal verblüffenden Kursen – kreuz und quer! Ich konnte (und musste zum Glück mich auch nie) entscheiden zwischen praktisch-bildkünstlerischen und theoretischen Interessen: Ich liebe Malerei und Bildhauerei, begeistere mich für Literatur, bin ein Liebhaber von Baukunst und Design –aber meine absolute Leidenschaft gehört der Gestaltung von Gärten und Autos. Und, eh ich’s vergesse: natürlich dem Film!!
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