Künstler und Dissident

18.5. – 1.9.2019 | Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Ai Weiwei, Sacred – Ritual, o.J. (Courtesy Ai Weiwei Studio)

Die diesjährige Biennale erlebte ein kleines Desaster: Der von Ai Weiwei für den Film „Berlin, I love you“ produzierte Beitrag wurde kurzerhand herausgeschnitten. Damit war dies der dritte Beitrag, der unter fadenscheinigen Begründungen nicht an der Berliner Biennale teilnehmen durfte. Ai Weiwei kritisierte die chinesische Regierung, sie würde auf die deutsche Seite Druck ausüben. Man erinnert sich: Nach 81-tägiger Haft durfte Ai Weiwei infolge starken internationalen Drucks 2015 China verlassen. Noch kurz vor seiner Entlassung arbeitete er mit dem Programm Faceview auf seinem Smartphone an der Fertigstellung seines Beitrages. Der politische Protest übertönte damals Ai Weiweis Stellung zur Kunst und zum Kunstbetrieb, den er clever für sich zu nutzen weiß.

Er wäre wie ein Bauer, behauptete er in einem Interview, der die Qualität der Kartoffeln erst dann zu beurteilen vermag, wenn sie auf dem Teller liegen. Viele haben ihm damals den Vergleich übelgenommen und behauptet, er wäre im Hauptberuf Dissident und nicht Künstler. Da haben sie glatt die etwa 100 Einzel- und 300 Gruppenausstellungen, die er bis Ende letzten Jahres hinter sich gebracht hat, übersehen. Schwer zu glauben, dass sich die meisten der etwa 400 Kuratoren in der ganzen Welt geirrt hätten. Und Ai Weiwei hat nie behauptet, seine Kunst wäre apolitisch und hätte ihre Wurzeln bei Marcel Duchamp und seinen objets trouvés. Dass man damit imposante Installationen machen kann, zeigte Ai Weiwei unzählige Male, so auch bei der Teilnahme an der documenta 12 , wo seine einstürzenden Türen für Furore sorgten, sowie mit seinen früheren großformatigen Arbeiten, die unlängst in der Marciano Art Foundation in Los Angeles gezeigt wurden.

In der Düsseldorfer Ausstellung in K20 und K21 dreht sich vieles um die letzte große Arbeit „Life Cycle“. Der chinesische Künstler reagiert in dieser Installation auf die Migrantenkatastrophe im Mittelmeer, indem er darin Elemente des Shanhaijing, eines in das 4. Jahrhundert v. Chr. reichenden Epos, mit biografischen Notizen und Tagesereignissen vermischt. Die fragile, über 17 Meter hohe Plastik zeigt aus Bambus und Sisalgarn hergestellte Figuren in einem Schlauchboot. Diese Figuren ließ Ai Weiwei in einer Manufaktur in Weifang, einer chinesischen Stadt in der Provinz Shandong, herstellen, die solche Figuren seit der Zeit der Mingdynastie (1368–1844) anfertigt.

Während Dreharbeiten im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Idomeni, wo die Flüchtlinge erneut verjagt wurden, entstand die Arbeit „Laundromat“,. Sie ist in Düsseldorf genauso zu sehen wie die Schlüsselwerke „Straight“ und „Sunflower-Seeds“, die hierzulande noch nie gezeigt wurden. In „Straight“ hat Ai Weiwei 164 Tonnen Armierungseisen eingesammelt, die er nach dem verheerenden Erdbeben 2008 aus eingestürzten Schulgebäuden in Sichuan bergen ließ. Die Installation zeigt jedoch gerade gebogene Stahlstäbe, die zu einer Landschaft modelliert sind. Dass unter diesen Stahlstäben tausende Kinder ihr Leben verloren haben, ist auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar: Auch dies ist Ai Weiweis Anklage.

Ai Weiwei
18.5. – 1.9.2019
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
K20 Grabbeplatz 5, D-40213 Düsseldorf
K21 Ständehausstraße 1, D-40217 Düsseldorf
Tel.: +49-211-8381204
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 12 €, erm. 10 €
www.kunstsammlung.de

Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Erstveröffentlichung in kunst:art 67