Van Gogh und die Deutschen

23.10.2019 – 16.2.2020 | Städel Museum

Paul Cassirer – ein junger Kunsthändler und Geschäftsführer der Berliner Sezession – erlaubte sich, während der 3. Berliner Sezessionsausstellung 1901 dem deutschen Publikum fünf Bilder von Vincent van Gogh zu präsentieren. Er war frisch zurückgekehrt aus Paris und tief beeindruckt von der Zerrissenheit des Malers, die in jedem seiner späteren Bilder zu spüren war. Ende des Jahres zeigte Cassirer in seinem Kunstsalon noch weitere 19 Bilder. Der Durchbruch des Holländers war geschafft und die etwa 30 Ausstellungen, die allein in Hamburg, München, Berlin und Dresden gezeigt wurden, bereiteten den Weg für die internationale Anerkennung des bis dahin verunglimpften Genies. 1911, als der Direktor der Bremer Kunsthalle Gustav Pauli van Goghs Bild „Mohnfeld“ erwarb und daraufhin Attacken über sich ergehen lassen musste, dass eine deutsche Museumsinstitution gefälligst und primär deutsche Kunst erwerben solle, war van Gogh dann in aller Munde. (Auch die Mannheimer Kunsthalle, von der Neuerungswelle der französischen Kunst begeistert, durfte sich im übrigen solche Vorwürfe gefallen lassen – heute ist Manets „Erschießung des Kaisers Maximilian“ ein Publikumsmagnet.)

In Deutschland waren kurz vor der großen Wirtschaftskrise in verschiedenen Museen und Galerien an die 120 Bilder und 36 Zeichnungen van Goghs zu sehen. Die Wirkung war überwältigend. 1910 schrieb Ferdinand Avenarius im „Kunstwart“: „Van Gogh ist tot, aber die van Gogh-Leute leben. Und wie leben sie! Überall van Goghs!“ Und es besteht kein Zweifel, dass der deutsche Expressionismus ohne ihn anders ausgesehen hätte: Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Paula Modersohn Becker, Gabriele Münter oder Max Beckmann haben, jeder auf seine oder ihre Weise, van Goghs Einfluss in das eigene Œuvre einfließen lassen.

Das Städelsche Kunstinstitut besaß neben dem Bild „Bauernhaus in Nuenen“ auch eines der letzten Gemälde, die erste Version des „Bildnis des Dr. Gachet“ (1890), das 1937 beschlagnahmt wurde und in die Sammlung von Hermann Göring gelangte. Heute fehlt von ihm jede Spur. Der Blick auf die gleichnamige Radierung verdeutlicht, wie nachhaltig der melancholische Ausdruck des Arztes einige Expressionisten beeinflusste. Denn ihnen war van Goghs Schicksal bekannt und in Dr. Gachet sahen sie seine Bruderseele. Ähnliches ließe sich über die damals radikale Landschaftsauffassung von van Gogh sagen, die etwa Gabriele Münter in ihrer Allee vor einem Berg zu einer radikalen Farbauffassung animierte – eine klare Anspielung an seine „Pappeln in Saint Rémy“.

Etwa 120 Gemälde und Arbeiten auf Papier umfasst die Ausstellung. Rund 50 zentrale Werke stammen von van Gogh, etwa 70 Arbeiten von deutschen Künstlern der Avantgarde, für die malerischen Impulse im Werk des Holländers stilprägend waren. Die Ausstellung macht deutlich, wie wichtig die Rezeptionsgeschichte van Goghs für den Expressionismus war und liefert zugleich die Erklärung für die dauerhafte Popularität seiner Malerei.

 

Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe
23.10.2019 – 16.2.2020
Städel Museum
Schaumainkai 63
D-60596 Frankfurt am Main
Tel.: +49-69-605098200
Di – So 10 – 19 Uhr, Do + Fr 10 – 21 Uhr
Eintritt: 16 – 18 €, erm. 14 – 16 €
www.staedelmuseum.de

Text: Dr. Milan Chlumsky
Bild: Städel Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 69