Die Magie des Alltags

Elia Suleimans „Vom Gießen des Zitronenbaums“

Verleih: Neue Visionen, Pressebild „Vom Gießen des Zitronenbaums“, Bild 7

Der neueste Film des palästinischen Regisseurs und Schauspielers Elia Suleiman „Vom Gießen des Zitronenbaums“, der am Donnerstag, 16. Januar 2020 in den deutschen Kinos anläuft, ist ein wunderbares Plädoyer für all die komischen und tragischen Momente, die uns im Alltag begegnen. Zwei Tage vor dem offiziellen Kinostart stellte Elia Suleiman seinen Film im Passage Kino in Leipzig vor und hatte Zeit für ein Gespräch.

Verleih: Neue Visionen, Pressebild „Vom Gießen des Zitronenbaums“, Bild 2

„Damals kam eine Frau in Nazareth in unsere Straße, die Joghurt verkaufte. Sie trug zwei Schalen übereinander auf dem Kopf. Sie lief die Straße mehrmals ab, um ihren Joghurt zu verkaufen. Meine Mutter nahm die Sache für die Frau in die Hand und rief ihre ganzen Freundinnen an, um den Joghurt zu verkaufen. Daraus entstand eine Freundschaft und ich freundete mich mit dem Sohn an. Er studierte und arbeitete als Schäfer. Damals gab es diese Videokassetten, auf denen man filmen konnte. Ich filmte also eine Ziege meines Freundes im Profil, die Gras kaute. Ich war derart fasziniert davon, dass ich gar nicht mehr mit dem Filmen aufhören konnte.“

Elia Suleiman wurde in Nazareth geboren und lebte von 1981 bis 1993 in New York. Seine dort realisierten Kurzfilme gewannen mehrere Preise. Sein erster Spielfilm „Chronik eines Verschwindens“ wurde 1996 auf dem Filmfest in Venedig ausgezeichnet. Auf dem Filmfestival in Cannes ist Elia Suleiman ein gern gesehener Gast. 2002 wurde sein zweiter Film „Göttliche Intervention – Eine Chronik von Liebe und Schmerz“ ausgezeichnet und erhielt zudem den Europäischen Filmpreis als bester nicht-europäischer Film. 2009 lief „The Times That Remains im Wettbewerb in Cannes und „7 Tage in Havanna“ lief 2012 in der Sektion Un Certain Regard. Der Film besteht aus sieben Kurzfilmen von Elia Suleiman und sechs renommierten Regisseuren. Sein neuester Film „Vom Gießen des Zitronenbaums“ lief 2019 im Wettbewerb und wurde mit dem FIPRESCI-Award für den besten Spielfilm ausgezeichnet und erhielt eine lobende Erwähnung der Wettbewerbsjury.

Verleih: Neue Visionen, Pressebild „Vom Gießen des Zitronenbaums“, Bild 8

2003 gründeten Karl Baumgartner und Thanassis Karathanos die Produktionsfirma Pallas Film in Halle an der Saale. 2014 verstarb völlig unerwartet Karl Baumgartner. Es war keine  leichte Zeit für Thanassis Karathanos, der aber an dem gemeinsamen Gedanken festhielt, künstlerisch qualitativ hochwertige Spielfilme zu produzieren. „Wie ich das Drehbuch von Elia Suleiman bekam, das sehr dünn war weil es so gut wie keine Dialoge gibt, wusste ich nicht, ob es zu einer Realisierung kommen würde.“ Dazu muss man wissen, dass wenn man einen positiven Bescheid einer Filmförderungsanstalt erhalten will, das Projekt wasserdicht einreichen muss. Nun ist „Vom Gießen des Zitronenbaums“ eine internationale Produktion, aber ohne die Zusage der Mitteldeutschen Filmförderung (MDM) und des Doha Film Institute (Qatar) wäre dieser wunderbare Film wohl kaum realisierbar gewesen.

Sehr dankbar ist Elia Suleiman der Verwaltung der Stadt Paris. Das Budget von „Vom Gießen des Zitronenbaums“ war nicht üppig. Es gibt zwei Filmemacher, die es geschafft haben, Paris menschenleer zu filmen: Luc Besson und Tom Cruise. Möglich ist alles, aber alles hat seinen Preis. Wer im Louvre filmt, der muss für die Aufnahme der Pyramide im Hof des Louvre noch mal extra zahlen. Das Geld dafür war nicht da. Die Produzenten waren skeptisch, Elia Suleiman vorsichtig optimistisch. Suleiman wird in Frankreich geliebt. Er bekam die Erlaubnis. Paris war es sicher eine Ehre. Von daher gilt sein großer Dank natürlich der Stadt Paris, ohne deren selbstlose Hilfe der Film so nicht möglich gewesen wäre.

Verleih: Neue Visionen, Pressebild „Vom Gießen des Zitronenbaums“, Bild 4

Ebenfalls teuer ist das Drehen in New York und daher entstanden die meisten Aufnahmen dafür im kanadischen Montreal. Hier konnte der Filmemacher und die Produzenten auf die Filmförderung unter anderem von SODEC Québec und Telefilm Canada zählen. An der Produktion waren Frankreich, Qatar, Deutschland, Kanada, die Türkei und Palästina beteiligt.

„Für mich ist es wichtig, dass das Publikum sich zu Beginn meines Films mit einem guten Gefühl auf ihn einlässt.“ Elia Suleiman ist ein aufmerksamer Beobachter: „Die Präzision des Erzählens ist mir wichtig, aber nicht die Realität zu kopieren.“ Alles was sich in „Vom Gießen des Zitronenbaums“ ereignet, hat der Regisseur selber irgendwann einmal erlebt. Wie die Taxiszene im Film, wo der Taxifahrer ihn wirklich umsonst damals in seine Wohnung in East Harlem gefahren hat. Sogar die aberwitzige Geschichte, die ihm im Film der erfolglose Jäger von der Schlange erzählt, die er vor einem Adler gerettet hat, hat Suleiman irgendwann einmal in seiner Heimat gehört. Auch der Nachbar, der dem Filmemacher die Zitronen aus dem eigenen Garten klaute hat sich so zugetragen. Ebenso, dass sich der Nachbar um den frisch eingepflanzten Zitronenbau in Suleimans Abwesenheit kümmerte.

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Elia Suleiman spielt sich im „Vom Gießen des Zitronenbaums“ selbst. Er ist dabei, einen neuen Film zu realisieren und beginnt damit in Nazareth. Doch in seinem Heimatland hat sich viel verändert. Die Zitronen aus dem eigenen Garten klaut der Nachbar, aber um den Ertrag zu steigern, pflegt er die Bäume. Erstes Ziel von Suleiman ist Paris. Hier steht der Nationalfeiertag am 14. Juli an. In der Nähe seiner Wohnung beobachtet der Filmemacher in einem Park absurde Situationen. Der Kampf um die Stühle an einem Brunnen entpuppt sich als absurd, aber leider real. Die Finanzierung seines Films wird leider abgelehnt. In New York hat er ebenfalls kein Glück – trotz der Fürsprache eines Freundes. Zurück in Palästina findet er in einer Bar in Haifa etwas ungewöhnliches vor: eine Jugend, die sich wieder selber lebt.

Verleih: Neue Visionen, Pressebild „Vom Gießen des Zitronenbaums“, Filmplakat

„Vom Gießen des Zitronenbaums“ ist ein wunderbar humorvoller und zugleich melancholischer Film. Eine Hymne an das Leben, das wir alle nur einmal leben können. Das vergessen wir gern in unserem Alltag. Mit der Leichtigkeit und Eleganz seiner Erzählweise begeistert Elia Suleiman das Publikum. Ein Film, der einen am Ende gut gelaunt wieder in den Alltag entlässt.

Seinen Freunden in Palästina hat Elia Suleiman versprochen, nach der weltweiten Premierentour „Vom Gießen des Zitronenbaums“ recht bald wieder zu kommen und einen Workshop in Bethlehem am Filminstitut zu geben.

 

Text: Nadja Naumann
Fotos: Neue Visionen Filmverleih

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