„Um die Gegenwart zu untersuchen, muss man die Vergangenheit verstehen: jene Vergangenheit, die die eigene Gegenwart bestimmt.“ So charakterisiert Danh Vō seinen gedanklichen Ausgangspunkt. Um aber deutlich zu machen, dass sein Interesse alles andere als ein antiquarisches, bloß rückwärts gerichtetes ist, fährt er in seinem Statement (anlässlich einer Ausstellung in der South London Gallery 2019) fort: „ Ich glaube auch, dass man in die Zukunft schauen muss. Das ist zweifellos eine Lebensphilosophie, mit der ich lebe und die, wie ich hoffe, in meiner Arbeit zum Ausdruck kommt.“
Ob das funktioniert, lässt sich in Wien überprüfen: Die Secession Wien richtet mit Danh Vō einem Künstler eine Einzelschau aus, der zu den interessantesten auf dem gegenwärtigen internationalen Parcours zählt. Und das aus zwei Gründen: Mit einer mehrfach gebrochenen Biografie (geboren 1975 in Vietnam, als Bootsflüchtling 1979 nach Dänemark gekommen und dort aufgewachsen, heute in Berlin und Mexico City lebend) steht er sozusagen zwangsläufig mit beiden Beinen im Dickicht der derzeitigen Diskussionen über Identität, ihre Wurzeln und Verwandlungen – gleichzeitig gelingt es ihm aber, diesen Diskurs umzuformen in eine sowohl zutiefst persönliche als auch in ihrer schwebenden Mehrdeutigkeit allgemein aussagefähige künstlerische Sprache. Sein bekanntestes Werk ist sicher eine originalgroße (!) Replik der New Yorker Freiheitsstatue, deren etwa dreihundert kupferne Teile der Künstler in China herstellen ließ. Statt sie aber zu einer bloßen Verdoppelung des Originals zusammenzusetzen, verteilte Vō die Fragmente auf eine Vielzahl von über die ganze Welt verteilten Orten. Wir erkennen ein berühmtes historisches Kunstwerk, eine bekannte geografische Landmarke, mithin eine abgeschlossene Vergangenheit – und wir spüren eine über das jeweils Konkrete weit hinausgreifende utopische Dimension: Freiheit und Humanität ist (und bleibt notwendig) immer work in progress. Der Titel „We the people“ (die vielzitierten ersten Worte der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung) ist Proklamation und bleibt Verpflichtung.
Danh Vōs Installationen verlassen sich beileibe nicht auf spektakuläre Wirkungen; sie arbeiten auch mit bescheideneren Fundstücken wie Fotografien, Briefen, Dokumenten (und gelegentlich mit Elementen aus dem Werk anderer Künstler). Das ist zuweilen sehr privat, beispielsweise bei den Kalligrafien des Vaters des Künstlers; Vō ist hier, wo er unveränderte Objekte präsentiert, als Ausgräber und Historiker tätig. Anders aber, wenn er mittelalterliche Madonnen und antike Objekte zusammenbringt, die er manchmal unwiederbringlich verändert (vulgo zerstört): Dieser künstlerische Kulturvandalismus (ein Widerspruch in sich?) widerspiegelt die Brutalität des Kolonialismus, verweist aber auch auf die so ausgelösten produktiven Dynamiken der Verbindung über Zeit und Raum. Gewalttätig und poetisch, explizit und rätselhaft: Danh Vō erweist sich in diesen Widersprüchen als wichtiger Künstler unserer Gegenwart.
Danh Vō
21.11.2020 – 7.2.2021
Vereinigung bildender KünstlerInnen
Wiener Secession
Friedrichstr. 12
A-1010 Wien
Tel.: +43-1-5875307
Di – So 14 – 18 Uhr
Eintritt: 9,50 €, erm. 6 €
www.secession.at
Text: Dieter Begemann
Bild: Wiener Secession
Erstveröffentlichung in kunst:art 76