Der Standort ist für die Installationen von Nairy Baghramian ein wichtiger Aspekt, das Gebäude der Wiener Secession könnte da schon die halbe Miete sein. In ihrer dortigen Ausstellung aber bezieht sie sich vor allem auf den menschlichen Faktor. Das bedeutet Mut zum Unfertigen, nicht Perfekten. Die Skulptur „Breathing Spell“ etwa verbirgt ihre Unvollkommenheiten nicht, mit den deutlichen Schweißnähten und ähnlichen Werkspuren steht sie zu ihren Schönheitsfehlern. Sie setzt sich damit der Kritik aus, macht sich angreifbar und verletzlich. Die Behauptung von Perfektion vermeidet Baghramian damit von vornherein, vielmehr öffnet sie sich dem Zweifel.
Für die Diskussion mit und über diese Arbeiten ist es zweifelsohne der fruchtbarere Ansatz, den die Künstlerin damit wählt. Von ihm ausgehend wagt sie sich an komplexe Fragestellungen nicht nur der Bildhauerei und Installationskunst heran. Indem sie sich für Beziehungen zwischen ihren Installationen und ihrer Umgebung, zwischen dem umgebenden Innenraum und dem weiteren Außenraum interessiert, thematisiert sie zugleich größere soziale und historische Zusammenhänge, stellt die Frage nach Autoritäten und Abhängigkeiten. Die im Iran geborene, in Berlin lebende Künstlerin ist damit in diskussionsfreudigen Veranstaltungen wie der documenta oder den Skulptur Projekten Münster gern gesehen. In der Wiener Secession, einst aus Zweifel an der Autorität von historisch Überliefertem heraus gegründet, hat sie eine weitere, passende Umgebung gefunden.
Nairy Baghramian. Breath Holding Spell
20.11.2021 – 23.1.2022
Wiener Secession
Friedrichstr. 12
A-1010 Wien
Tel.: +43-1-5875307
Di – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 9,50 €, erm. 6 €
www.secession.at
Text: Jan Bykowski
Bild: Wiener Secession
Erstveröffentlichung in kunst:art 82