Mit „Internal Line“ von der seit 1996 in Berlin lebenden japanischen Künstlerin Chiharu Shiota eröffnet das Museum der bildenden Künste in Leipzig eine neue Reihe, in der bei einem regelmäßigen Wechsel bedeutende Positionen der Gegenwartskunst präsentiert werden. Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um europäische, sondern zuweilen auch um internationale Positionen. Ein Schwerpunkt liegt auf skulpturalen Impulsen, deren Inszenierungen auf den Terrassen des Museums stattfinden. Somit kann das Werk in einen Dialog mit der Sammlung des Museums treten.
Chiharu Shiota ist für ihre raumgreifenden Arbeiten bekannt, die an gigantische Gewebe erinnern. In einer Art Verflechtung verbindet sie Malerei und Zeichnung mit den Dimensionen des Räumlichen. Dabei entstehen Werke, die sich in den Raum einfügen und ein eigenes Leben führen. So werden tausende Fäden zu Linien, die sich oftmals zu organischen Strukturen verdichten. Musikinstrumente, Schuhe, Boote, Schlüssel oder Kleider können dabei umwebt und zu Bedeutungsträgern für das menschliche Wesen werden.
In den Grundfarben Rot, Schwarz und Weiß lässt die Künstlerin ihre Werke entstehen, die sich mit der menschlichen Existenz auseinandersetzen. Dabei werden Erinnerungen und Zeit sichtbar gemacht, kommen Themen wie menschliche Obsessionen, die Bedeutung von Herkunft und Tradition oder wie sich die Natur organisiert zur Sprache. In die Erzählungen fließen die eigenen Erfahrungen und Gefühle der Künstlerin mit ein.
Die fast die gesamte Terrasse ausfüllende, in rot gehaltene Skulptur beherbergt in ihrem Inneren drei überdimensional große Kleider, die umhüllt von Fäden nach oben streben. Unweigerlich kommt dem Betrachter dabei der Begriff Schutzhülle in den Sinn, denn oftmals schützt uns die Kleidung wie ein Kokon, um so wenig wie nur möglich von unserer Persönlichkeit preiszugeben. In der Skulptur sind die Kleider untereinander verbunden und hängen nicht jedes für sich allein. Die stoffliche Verbundenheit steht für die Kommunikation zwischen den Menschen, die den Austausch brauchen, um nicht zu vereinsamen. Das symbolisieren die vielen Fäden. Sie ermöglichen die Transparenz und Leichtigkeit in der Skulptur und sind zugleich ein Ordnungssystem. Die Installation passte die Künstlerin extra für die Terrasse an und sie ist erstmals in Europa zu sehen. 2019/2020 wurde „Internal Line“ im Japan Haus in São Paulo ausgestellt.
Chiharu Shiota wurde in der Präfektur Osaka geboren. Von 1992 bis 1996 studierte sie an der Seika-Universität Kyoto. 1996 folgte der Wechsel an die Hochschule für Bildende Künste Hamburg und von 1997 bis 1999 besuchte sie die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Anschließend ging sie an die Universität der Künste Berlin, wo sie 2003 ihr Studium beendete. Chiharo Shiota war unter anderem Schülerin von Rebecca Horn. Die Werke der in Berlin lebenden Künstlerin erfahren international eine hohe Wertschätzung. 2015 bespielte sie den japanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig.
Nadja Naumann lebt und arbeitet als Journalistin in Mitteldeutschland.
Chiharu Shiota. Internal Line
23.9.2021 – 27.3.2022
Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstr. 10
D-04109 Leipzig
Tel.: +49-341-216990
Di 10 – 18 Uhr, Mi 12 – 20 Uhr, Do – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 5 €
www.mdbk.de
Text: Nadja Naumann
Bild: Museum der bildenden Künste Leipzig
Erstveröffentlichung in kunst:art 82