Im Frühjahr widmet das Städel Museum dem preisgekrönten Fotografen Andreas Mühe mit der Sonderausstellung “Andreas Mühe. Stories of conflict“ eine große Einzelausstellung. Mit 45 Exponaten aus bekannten und neuen Werkzyklen wie der erstmals ausgestellten Serie “Biorobots II“ (2021) zeigt die Ausstellung wegweisende Ausschnitte seines bisherigen Schaffens. Der ausgebildete Fotolaborant, der auch im digitalen Zeitalter der analogen Fotografie treu bleibt, erschafft mit großer Liebe zum Detail auf Perfektion ausgerichtete Bilder, die kategorial gebildete Konstrukte sozialer Ordnung wie Familie, Nationalität, Politik und Kultur beleuchten.
Seine Porträts von Spitzenpolitikern wie Angela Merkel, welche er auf Reisen nach Indien, New York und Washington begleitete, sind weltbekannt. Die Ausstellung präsentiert gleich zwei Werkzyklen zur Ex-Kanzlerin: „Angela Merkel“ (2008) und „A.M. – Eine Deutschlandreise“ (2013). Mühe spielt mit den Erwartungen des Betrachters, inszeniert seine Mutter als Merkel-Double oder lässt die ehemalige Kanzlerin kontemplativ eingefangen im Bild “Unterm Baum“ (2008) einen Teich betrachten. So schnappschussartig die Bilder wirken, so perfekt sind sie durchkomponiert, zumal die verwendete Großbildkamera aufwendige Handhabung verlangt und Mühe nichts dem Zufall überlässt.
Auch historische Untersuchungen deutscher Erinnerungskultur werden in der Ausstellung zu sehen sein wie im Werkzyklus „Obersalzberg“ (2011/2012), welcher sich mit Propagandabildern der NS-Zeit auseinandersetzt, oder in „Wandlitz“ (2011), wo die einfache Architektur, atmosphärisch eingefangen, kaum die Stellung darin wohnender hoher DDR-Funktionäre vermuten lässt. “Es sind die Auseinandersetzungen mit Brüchen in der Gesellschaft, mit Gewalt, mit deutsch-deutscher Identität sowie die Befragung seiner selbst und der eigenen, komplexen Familiengeschichte, die sein Schaffen bestimmen“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums. Deutlich wird dies auch in der ausgestellten Serie zum Selbstporträt “Mühe Kopf“ (2018), in der er die Kopfstudie aus Silikon dem beschleunigten Verfall aussetzte. Entnommen ist diese dem Werkzyklus „Mischpoche“ (2019), der Facetten von eigener Familiengeschichte, Identität, des Selbst- und Fremdbildes untersucht. Auch findet sich ein arrangierter Bruch mit tradierten deutsch-kulturellen Pathosformeln in „Neue Romantik“ (2015), welche ebenfalls innerhalb der Ausstellung sichtbar sein wird, wie auch die neuen Serien „Tschernobyl“ (2020) und erstmals präsentiert „Biorobots II“ (2021). Thematisch aufeinander aufbauend widmet sich „Tschernobyl“ den damaligen Ersthelfern zur Eindämmung der Reaktorkatastrophe, welche, medial als “Biorobots“ benannt, innerhalb kurzer Zeit in hoher Zahl an Folgeschäden der Strahlenbelastung verstarben. Geprägt durch die Corona-Pandemie schließt „Biorobots II“ an apokalyptische Szenarien an und spiegelt die Hilflosigkeit der in Schutzkleidung vermummten Protagonisten.
Der Besuch der Ausstellung hält für den Betrachter das bereit, was Mühe einst mit “Umspielen des eigenen Zeitstrahls“ beschrieb – außergewöhnlich inszenierte Fotografien eines Künstlers, der die eigene und die deutsche Geschichte bildhaft reflektiert.
Johanna Bayram ist als freie Journalistin tätig und arbeitet seit vielen Jahren für kunst:art.
Andreas Mühe
16.2. – 19.6.2022
Städel Museum
Schaumainkai 63
D-60596 Frankfurt am Main
Tel.: +49-69-605098200
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 16 €, erm. 14 €
www.staedelmuseum.de
Text: Johanna Bayram
Bild: Städel Museum
Erstveröffentlichung in kunst:art 84