Der Faden – er ist das zentrale Element in der Arbeit mit textilem Material. Er verwebt das kreative Potenzial seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten mit der anthropologischen Dimension des Textils. So kann er als Metapher der Vernetzung gesehen werden: Aus ihm wird gewebt, mit ihm wird verknüpft und verflochten. In künstlerischer Verarbeitung kann er in der Nähe der gezeichneten Linie verortet werden, was jedoch keine Selbstverständlichkeit ist, wird die Linie doch mit kognitivem Konzept assoziiert, während der Faden eine handwerkliche Nähe hat.
So ging es einst sogar der Künstlerin Carola Willbrand (* 1952 in Köln): „Handarbeit fand ich das Allerletzte“, schmunzelt sie heute. Es brauchte die Bitte eines Freundes, ihm ein Segel zu nähen, um das enorme Potenzial von Nadel und Faden für ihr kreatives Schaffen zu entdecken.
Heute verbindet nichts so prägnant wie der Faden die heterogenen Bereiche des umfangreichen Œuvres von Carola Willbrand. Dem kann man nun nachgehen im Kunstmuseum Villa Zanders, das der Kölner Künstlerin, die im Umfeld der Fluxus-Bewegung verwurzelt ist, eine Einzelausstellung widmet – so umfangreich, dass sie wie eine Retrospektive anmutet: Beeindruckende Künstlerbücher voller genähter Zeichnungen, oft in Form von Leporellos, hängen teils sogar installativ-raumgreifend von der Decke herab in Elementen handgeschöpften Papiers aus Kleidung der Künstlerin. Sie treffen hier auf skulpturale Textilarbeiten wie die 13 Stehlen des Werks „Der Künstlerinnen-Komplex“ (2002–2022). Diese scheinen die Besuchenden im Foyer zu begrüßen, auf jeder ein aus Textil collagierter Kopf, der eine jener Künstlerinnen darstellt, die Willbrand geprägt haben.
Die Autodidaktin lernte auf langen Studienreisen beispielsweise Louise Bourgeois kennen, die ihre feministische Tendenz inspirierte. Aber auch Künstlerinnen, wie ihrer „Tante Käthe“, der Kölner Malerin Käthe Schmitz-Imhoff, ist eine Plastik gewidmet. „Alle meine Künstlerinnen sind Superheldinnen“, beschreibt Willbrand den thematischen Fokus. So zeigen ihre eindringlichen Werke große autobiografische Nähe und suchen stets die Verbindung von Kunst und Leben. Dabei treffen Aspekte des Erinnerns gerne auf ein Augenzwinkern und auf eine stilistische Leichtigkeit, die in der Villa Zanders ihr Äquivalent findet in der luziden Präsentation, die den Eindruck unterstützt, dass manche Arbeiten der Schwerkraft zu trotzen scheinen.
Teil der Schau sind zudem Videos ihrer performativen Werke; denkwürdig waren gewiss die spontanen Performances in den Kölner Stadtbahnen. Und auch im reichen Rahmenprogramm komplementieren Performances Willbrands und Gespräche mit ihr ebenso die Ausstellung wie auch die Publikation von Viola Hildebrand-Schat, eine wissenschaftliche Monografie mit einer Intervention der Künstlerin.
Um den Faden wieder aufzunehmen: „Er hängt mit dem Leben zusammen“, erklärt Carola Willbrand ihre Sichtweise. Damit verknüpft er die autobiografischen Facetten ihres Schaffens mit den mannigfaltigen Potenzialen der Rezeption innerhalb des größeren Netzwerks. Wie auch Hannah Arendt einst treffend die Interaktion mit dem Außen beschrieb: „Wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie.“
Ninja Elisa Felske ist Kunsthistorikerin und promoviert derzeit über Pablo Picasso.
Carola Willbrand. Der Künstlerinnen-Komplex
29.1. – 21.5.2023
Kunstmuseum Villa Zanders
Konrad-Adenauer-Platz 8
D-51465 Bergisch Gladbach
Tel.: +49-2202-142356
Di + Fr 14 – 18 Uhr, Mi + Sa 10 – 18 Uhr, Do 14 – 20 Uhr, So 11 – 18 Uhr
Eintritt: 4 €, erm. 2 €
www.villa-zanders.de
Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Kunstmuseum Villa Zanders
Erstveröffentlichung in kunst:art 90