Vija Celmins und Gerhard Richter in der Hamburger Kunsthalle
Zwei künstlerische Positionen, bei denen es ganz zentral um das Verhältnis des malerischen Abbildes zum abgebildeten Objekt selbst geht und um die allfälligen Filter, die sich noch dazwischen schieben. Beim Maler – und dann noch einmal beim Betrachter. Man merkt, die Kunst grenzt hier haarscharf – oder vielmehr unscharf! – an die Philosophie. Die Hamburger Kunsthalle bringt mit „Double Vision“ in einer hochgradig spannenden Ausstellung zwei zusammen, die zusammengehören – so ähnlich sind sie und doch immer wieder so voneinander verschieden. Vija Celmins und Gerhard Richter teilen Generationserfahrungen (die eine ist Jahrgang 1938, der andere 1932) wie auch Emigrationserfahrungen (aus Riga über Deutschland und in den 1960ern in die USA in einem Fall, aus der DDR 1961 in die Bundesrepublik im anderen). Und beiden ist, in der sich rasant entwickelnden modernen Gesellschaft auf beiden Seiten des Atlantiks, die Bedeutung der technischen Medien, Film und Fotografie im privaten wie öffentlichen Leben, aufgegangen. Eine Bedeutung, die sie auch in ihrer Malerei (und Bildhauerei) weder ignorieren konnten noch wollten. Beide verfolgen über inzwischen schon Jahrzehnte mit großer Intensität ihre Spuren, ohne sich je einer Künstlergruppe oder einem expliziten Stil verschrieben zu haben. Und beide lieben sie, ungewöhnlich für Maler, die Un-Farbe Grau.
Die Doppelschau bringt, eigentlich überraschend, zum ersten Male die in ihren Heimatländern wie auch international renommierten Celmins und Richter in einer umfassenden Ausstellung zusammen. So populär und Gegenstand vieler Museumspräsentationen allerdings Richters Arbeiten in Deutschland sind, so sind Celmins nicht minder beeindruckende Gemälde und Zeichnungen hierzulande doch eher selten zu sehen. Das Konzept der Hamburger Kunsthalle zielt darauf ab „(Celmins) Werk zu größerer Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu verhelfen. Mit einer starken weiblichen Position als Dialogpartnerin öffnet sich die Möglichkeit, das oft als singulär vorgestellte Werk Gerhard Richters mit einem frischen Blick zu befragen und zu entdecken.“ „Double Vision“ umfasst reichlich siebzig Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik und Objekte und findet im zweiten Obergeschoss der Galerie der Gegenwart statt. Neben der offenkundigen (und oft auch verblüffenden) thematischen Nähe, der von beiden gepflegten malerischen Praxis mit Hilfe von und unter Bezug auf Fotografie, der Vorliebe für das nüchterne (oder sagt man besser: reduzierte?) Grau geht es der Schau immer wieder „um die Frage nach den elementaren Mitteln des Darstellens. (…) Was ist Realität, was ist Repräsentation? Und wie kann die Wahrnehmung, das Sehen selbst, sichtbar gemacht werden?“.
Entfaltet wird die Schau entlang von Kapiteln, die etwa „Desaster“ überschrieben sind (die persönlich aus der Kinderperspektive erlebten Schrecken des Weltkriegs, die medial vermittelten der Kriege seitdem), „Seestücke“, „Doppelgänger“, „Spiegel“, „Handwerkszeug“ und natürlich „Grau“.
Dieter Begemann lebt und arbeitet als freier Journalist in Norddeutschland.
Vija Celmins | Gerhard Richter. Double Vision
bis zum 27.8.2023
Hamburger Kunsthalle
Galerie der Gegenwart (HASPA-Galerie)
Glockengießerwall 5
D-20095 Hamburg
Tel.: +49-40-428131200
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 uhr
Eintritt: 16 €, erm. 8 €
www.hamburger-kunsthalle.de
Text: Dieter Begemann
Bild: Hamburger Kunsthalle
Erstveröffentlichung in kunst:art 92